gestalten, selbst Lene, überstrahlt. Wohl fügt Effi sich anfänglich gehorsam in das leere Leben an der Seite des so viel älteren, ihr innerlich fremden Gatten, aber bei aller äußeren Sicherheit des Auftretens erwacht in ihr die Sehnsucht nach einem von echter Liebe verklärten Leben. Auch die Geburt ihres Töchterchens kann diese na- turhaft-natürliche Sehnsucht unmöglich stillen. So verfällt sie für kurze Zeit dem Major von Crampas, muß erkennen, daß sie auch ihn nicht liebt mit der Liebeskraft, deren Möglichkeit unerweckt, weil unangerührt, in ihr sich sehnt und quält, ohne Erlösung finden zu können. Die Versetzung des Gatten nach Berlin bedeutet ihr Befreiung aus peinigender Verstrickung, beruhigt wird jetzt ihr Leben einmünden in die Ordnung des Alltags. In Berlin aber findet Innstetten zufällig die Briefe, die einst Crampas an Effi schrieb, und die sie gedankenlos in ihrem Nähtischchen vergessen hatte, vergessen konnte, weil sie die quälende Erinnerung an Geschehenes weit von sich wegschob. Innstetten erschießt Crampas im Duell, zerstört Effis Leben, damit auch das eigene. Als Schlachtopfer »falscher Ehre" wird die Effi, die nicht nach dem lebenden Urbild geformt, die vielmehr einzig aus Fontanes sehnender Seele liebend gestaltet werden soll, „überwinden" lernen ...
So etwa mag das „Brouillon" von 1890 das Geschehen des Romans skizziert haben. Eines, ein Wesentliches aber, hat sich dem Dichter noch nicht aufgetan: die Atmosphäre, in der dieser Schicksalsknoten sich knüpfen muß, damit von neuem die Melodie vom „Leid des Lebens" erklinge.
Schon im Herbst 1890 spürt der Siebzigjährige ein Abnehmen der Kräfte. „Dann und wann fällt wohl noch ohne Zutun ein Apfel vom Baum, aber die Kraft zum Herabholen ist nicht mehr da". Alt fühlt er sich, aber „Resignieren können ist ein Glück und beinahe eine Tugend". „Das Alter hält mich seit einiger Zeit doch scharf in den Klauen... körperlich geht es noch, aber das ,Innen lebt die schaffende Gewalt' ist für mich leider zur Phrase geworden. Von Federkraft - bei mir doppelsinnig zu verwenden - ist keine Rede mehr...". Eine Influenza vom März 1892 steigert „die tief deprimierte Stimmung: Der Versuch, die „Dunkelschöpfung" der „Effi Briest" im „Lichte" der Kritik zu vollenden, ist — gescheitert!
Sollte es im Riesengebirge glücken, das ihm schon in früheren Jahren Schaffensruhe bot? Im Mai 1892 reist er mit Frau und Tochter nach Zillerthal bei Schmiedeberg - und erkrankt von neuem: „... ich wurde ganz elend, und so verbrachten wir ... vier schlimme Monate an der sonst so schönen Stelle". „Ob ich noch einmal von dieser Müdigkeit loskomme? Mit zweiundsiebzig sind die Chancen gering". Schon erwägt er, Berlin zu verlassen, denn „seit meiner letzten Krankheit bin ich eine ganz gebrochene Kraft, zur Zeit kaum fähig, ein paar Briefzeilen zu schreiben, und so schrumpfen denn meine Einnahmen auf weniger als die Hälfte zusammen. Damit in Schmiedeberg zu leben wird gehen ..."
„Es ist nicht zu beschreiben", klagt Frau Emilie dem Sohn Friedrich, „wie schwer es ist, mit dem armen Kranken zu leben, die Tage sowohl wie die Nächte. Wir erwarten den Arzt, der immer dringender von einer Nervenheilanstalt spricht. Papa, der erst damit einverstanden schien, zeigt jetzt ein rechtes Grauen, so daß ich nur in äußerster Not meine Einwilligung dazu geben würde. . .. Diesen klaren, verständigen Mann so zu sehen ist herzzerreißend."
Mitte September 1892 kehrt die Familie nach Berlin zurück, ohne daß der Dichter inzwischen die Rohfassung der „Effi Briest" angerührt hatte. „Die Gesamtstimmung ist freudlos, man ist eben das gelbe Blatt am Baum um die Zeit, wo der Spätherbst einsetzt." Er hat das Alter erreicht, in dem der Vater starb! „... wenn man nun gar ein- undsiebzig ist", hat der Vater einst gesagt, „... man mag wollen oder nicht, er mel-
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