Heft 
(1990) 49
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det sich, er ist um einen rum, er ist da: der Tod! Am Ende fühlt er sich - und steht am Anfang!

Der Berliner Hausarzt, Psychologe von Gottes Gnaden, glaubt nicht an Gehirnanä­mie, entastet die Grundursache das Hinsiechens: »Sie sind ja gar nicht krank! - Ih­nen fehlt nur die gewohnte Arbeit! - Und wenn Sie sagen: ,Ich habe ein Brett vorm Kopf, die Puste ist mir ausgegangen, mit der Romanschreiberei ist es vorbei", nun, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie wieder gesund werden wollen, dann schreiben Sie eben was anderes, zum Beispiel ihre Lebenserinnerungen. Bangen Sie gleich morgen mit der Kinderzeit an!"

Schon gelegentlich desJubelfestes" hatte nicht nur die Vossische Zeitung ihm na­hegelegt, eine Autobiographie Zu schreiben. Das widerstrebt seinem Hang zum Un­derstatement, obwohl sein Lebenin seinem bunten Wechselgange auch ein sehr gu­ter Stoff ist". Halb unbewußt spielt er mit dem Gedanken, denn im August 1891, in der Zeit des Resignierens, war ihm der Rückblick auf sein Leben stille Beschäftigung: Das Endresultat ist immer eine Art dankbares Staunen darüber, daß man von so schwachen wirtschaftlichen Fundamenten aus überhaupt hat leben, vier Kinder groß- ziehen ... können. Es ist alles leidlich geglückt. ... Aber, zurückblickend, komme ich mir doch vor wie der ,Reiter über den Bodensee' (den zugefrorenen) in dem gleich­namigen Schwabschen Gedicht, und ein leises Grauen packt einen noch nachträg­lich." '

Ohne Grauen ist die Erinnerung an die Kindheitstage, und so ist das einfühlende Wort des Arztes rettende Medizin. Schon gleich, im Oktober 1892, beginnt er »Meine Kinderjahre". In wenigen Monaten ist das Werk vollendet: hat er im Eintauchen in die eigene Jugend die Jugendkraft zurückgewonnen, sich zurückerobert. Da steigt die unbeschwerte Swinemünder Knabenzeit in farbiger Frische vor dem inneren Auge auf, sieht er dasSpukhaus" die väterliche Apotheke, wo nachts der Geist" des früheren Besitzers schlurfend auf dem Boden umherschleicht.De oll Geißler geiht wedder üm", sagten die Dienstboten; oderHe kuckt wedder in all sien Kisten und Kasten" -Und wirklich, man hörte deutlich, wie die Deckel der großen Kräuterkisten auf- und wieder zugeschlagen wurden". Die Erklärung des Vaters, das seien die Katzen, furchtet nichts, der phantasievolle Knabe kostet mit Behagen das Gruselige der Situation, setzt sich immer wieder an die Stelle zwischen Ofen und Schrank, wo der spukende olle Geißler gestorben war, und lauscht verzaubert dem geheimnisvollen Rumoren über mir". Ein Junge war er damals - aber wie würde solches Rumoren auf das Gemüt eines kindjungen Mädchens wirken? Da sieht er seine Effi, das siebzehnjährige Kind, alsFrau Landrat" in ein solches Spukhaus einziehen, da überläuft es ihn eisig -: da wittert er mit eins, was ihm bislang sich versagte: die Atmosphäre, in der der Knoten seiner Effi-Tragödie geschürzt werden muß!Kessin" mag es heißen, das Swinemünde seines Romans! Die ganze Szenerie, begonnen mit derPlantage", ist gegeben! Im sonnigen, weinfrohen Rheinland, auf Schloß Benrath in der Nähe Düsseldorfs, hatte die Tragödie jener Frau Else von Ardenne sich ab­gespielt; in Bonn hatte das Duell stattgefunden. Gegenden sind das, in die sich die Schicksalsverstrickung seiner Effi nicht einfügen will. Schon ist er, noch während er an denKinderjahren" schreibt, eingesponnen ins Werk seiner Liebe, fühlt er schau­dernd die Diskrepanz zwischen dem freien, luftigen Hohen-Cremmen, der Heimat Ef- fis, und dem düsteren Zwang des rätselhaften, spukhaften Kessin. Mehr noch: Die eigene Seele taucht ein in die Seele seiner Heldin, die sich nichts aus dem Schmuck macht, den der Bräutigam ihr schenken will:Ich klettere lieber, und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht, daß es irgendwo reißen oder bre­chen und ich niederstürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten." Das ist

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