Heft 
(1990) 49
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auszukosten, gibt es in Kessin nicht, denn eineFrau Landrat" auf der Schaukel wür­de den Gatten der Lächerlichkeit preisgeben, damit seine Karriere vernichten. Da betritt den verödeten Spielplatz Major Crampas mit seinemOhne Leichtsinn ist das ganze Leben keinen Schuh Pulver wert" Ersatz für die verlorene Schaukel, Ver­lockung zuSpiel und Abenteuer"! Sie hat ihnnicht einmal geliebt", konnte ihnver­gessen", weil sie ihnnicht liebte". Nur die Nüchternheit Innstettens, sein Beses­sensein vom Karrieremachen trieb sie demDamenmann" in die Arme - demDa­menmann", der hier zum erstenmal, im stummen Abschiedsgruß sich offenbarend, wirkliche Liebe gefühlt hat. So will es des Dichters Liebe zu seiner Effi, die sich in der liebenden Verehrung des buckligen Apothekers Gieshübler spiegelt, des einzigen echten, innerlich ihr verwandten Menschen, dem Effi im fremden Kessin begegnete - und der auch, mit einigen Variationen, Fontane heißen könnte.

Geschürzt ist derKnoten" der Verwicklung; langsam, innerer Notwendigkeit gehor­chend, muß folgerecht die Lösung sich vollziehen.Es gibt ein ganz stilles Heldentum, das mir imponiert", sagt (in anderem Zusammenhang) ein späterer Brief Fonta­nes. Der zweite Teil des Effi-Romans gibt die Verklärung solchen stillen Heldentums. Wohl flammt Effis naturgesunde Leidenschaft noch einmal, in berechtigter Empö­rung auf, als sie beim Wiedersehen ihres Kindes erleben muß, daß der Vater, der Schulmeister, es zur Sprechpuppe abgerichtet hat. Aber auch das überwindet sie - still.

Ja, die arme Effi!", schreibt der fünfundsiebzigjährige Überwinder,vielleicht ist es mir so gelungen, weil ich das Ganze träumerisch und fast wie mit einem Psychogra- phen geschrieben habe. Sonst kann ich mich immer der Arbeit, ihrer Mühe, Sorgen und Etappen erinnern - in diesem Falle gar nicht. Es ist so wie von selbst gekom- men, ohne rechte Überlegung und ohne alle Kritik." Und an anderer Stelle;... der alte Witz, daß man Mundstück sei, in das von irgendwoher hineingetutet wird, hat doch was für sich, und das Durchdrungensein davon läßt schließlich nur zwei Ge­fühlezurück: Bescheidenheit und Dank."

MitEffi Briest" hat der greise Fontane ein Meisterwerk geschaffen, weil er die rechte Liebe hatte, die er, aus dem eigenen Herzen, seiner Effi schenkte. Sein Leben, so voll von Entbehrungen, Entsagungen, Bitterkeiten und Demütigungen, ist ein­gemündet in Harmonie. Aber:Die Gesellschaft ist ein 'Scheusal."

Bald nach Vollendung derKinderjahre", Mitte 1893, hatte der 75jährige die Aus­arbeitung desBrouillons" von 1890 beginnen können. Vom Oktober 1894 bis zum März 1895 erscheintEffi Briest" im Vorabdruck, im Oktober als Buch. Berufene Kri­tiker erkennen sofort die Bedeutung des Werks, stellen es neben GoethesWahlver­wandtschaften" und TolstoisAnna Karenina". Nur ein Überwinder wie Fontane ver­mochte, die Gegensätze zwischen starrer gesellschaftlicher Ordnung und dem wirkli - chen atmenden Leben eines' nach Freiheit und Liebe verlangenden jungen Menschen so zu gestalten, daß wir Handeln und Leiden aller-Beteiligten mit-leiden. MitEffi Briest" ist Fontane in die Weltliteratur eingegangen. Vergessen sind seine Balladen, dieWanderungen" werden einen Süddeutschen kaum ansprechen. Heute erleben wir, daß, mehrere Jahrzehnte nach seinem Tode,Effi Briest" in englischer Sprache erschien, hymnisch gefeiert von der jungen Kritikergeneration. Der Roman wurde das Lieblingsbuch von Samuel Beckett. 3 Auch das würde er vermutlich mit der gleichen Gelassenheit hinnehmen, die ihn das neuerliche Fernbleiben des preußischen Adels bei der Feier seines 75. Geburtstages humorvoll weise glossieren ließ: . . . Kommen Sie , Cohn"! Freude hingegen wäre ihm die tiefe Verehrung, mit der der stärkste Romancier unserer jüngsten Vergangenheit, Thomas Mann, zu ihm als seinem großen Lehrmeister aufsah.

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