Heft 
(1990) 49
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sucht worden, an dem der Dichter noch vorüberging, der Sammler und Kunsthistoriker aber interessiert sein mußte." 10 Stengel selbst hatte es verstanden, sich den politischen Veränderungen nach 1933 an- zupassen und blieb deshalb von den Nazis unbehelligt in seinem Amt. Seine ganze » Sorge war darauf gerichtet, die Schätze des Museums zu mehren und die ihm anver­trauten Kulturgüter vor Schäden und Vernichtung zu bewahren.

In der Hinwendung zu Fontane, mit später formulierter satzungsgemäßer Zielstel­lung 11 , hatten sich Persönlichkeiten des bürgerlichen, vorwiegend mittelständi­schen, aber auch großbürgerlichen Lebens aus verschiedenen gesellschaftlichen Be­reichen vereinigt. Sie strebten danach, die zumeist als unpolitisch betrachtete Biblio­philie zu pflegen, befanden sich aber weder in ihren Neigungen und Sammelinteres­sen noch in ihrer politischen Haltung in Übereinstimmung. Auch in Stunden mensch­licher Bewährung beweisen sie unterschiedlich Charakter.

In Dr. Fritz Homeyer begegnen wir einem Mann von Rang und Namen nicht nur im Fontane-Abend. Seine Wertschätzung ging über die Grenzen Deutschlands hinaus. Ho- meyers Feder sind u. a. zwei besonders interessante Bücher zu verdanken, die wesent­lich Aufschluß geben über damals vorherrschende Positionen in der organisierten deutschen Bibliophilie. Seine Autobiographie -Ein Leben für das Buch" - bezeich- nete Homeyer als Versuch,im Spiegel des eigenen Daseins die Reflexe der Zeitströ­mungen und der Begegnungen mit besonderen' Persönlichkeiten einzufangen". 12 Darin berichtet er z. B. beeindruckend von seiner Begegnung mit Käthe Kollwitz. Homeyer wurde 1880 in Posen geboren und wuchs im Sinne einer christlich-humani­stischen Erziehung auf. Er studierte Kunstgeschichte, Sprach- und Literaturwissen­schaft, übernahm 1923 das wissenschaftliche Antiquariat Walter de Gruyter und war in der Folgezeit Mitglied verschiedener bibliophiler Vereinigungen und literarischer Gesellschaften. Für den arbeitsamen und ideenreichen Homeyer war nach seinem Selbstbekenntnis die Welt des Buches seine Welt, für die Politik nur störend emp­funden wurde. Dazu heißt es in seinen Erinnerungen:

Die hektischen, dem ersten Weltkrieg unmittelbar folgenden Zeiten hatten natürlich ihre Wellen bis in die Stille abgelegener deutscher Bibliotheken geschlagen und uns Mitbetroffenen manches seltsame Abenteuer beschert, wie ich eines in dem harten Winter 1918 auf 1919 erlebte. Der Marktwert fiel, und die Furcht vor Spartakistenunruhen wuchs." 13 Infolge seiner Erziehung und vorbehaltlosen Anerkennung geistiger Fähigkeiten und künstlerischer Leistungen lehnte er jedoch den geistigen und physischen Terror der Nazis gegenüber den Juden und Andersdenkenden ab und hielt als Humanist auch nach 1933 seinen vielen jüdischen Freunden die Treue. Das führte im Frühjahr 1938 zu seinem Ausschluß aus der Reichsschrifttumskammer, womit ihm zugleich die Er­werbsmöglichkeiten entzogen wurden. Homeyer flüchtete aus seinem Lande, in dem es kein Recht und keine persönliche Freiheit mehr gab, und emigrierte nach London, wo er bald seine Existenz als angesehener Buchhändler fand.

Rückblickend auf jene Jahre stellte Homeyer später fest:

Man lebte ein Leben neben dem Kriege, eingehüllt in die geistige Schutz­atmosphäre der Buchwelt. "4 1

Diese Einhüllung traf aber offensichtlich auf Homeyer selbst nicht ganz zu, denn ihm erschien es in der Emigrationals besonders würdige Aufgabe, gerade diejenigen Dichter, Künstler und Wissenschaftler mit ihren bedeutenden Werken einem interna­tionalen Publikum vorzustellen, die die anmaßende Überheblichkeit der damaligen faschistischen Staatspropaganda vom deutschen Markt und aus deutschen Biblio­theken vertrieben hatte". 15

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