Zu dem Freundeskreis, der in den Jahren 1933 bis 1942 hinter dem Rücken der bereits erwähnten Reichsschrifttumskammer regelmäßig in jeder zweiten Woche zusammenkam, sofern die einzelnen nicht emigrierten oder gar deportiert wurden, zählten neben Max Nideriechner und Alfred Zimmerman die Gebrüder Erich und Reinhold Scholem, Fritz Joseph, Abraham Horodisch, Gotthard Laske, Walther Michaelis, Eugen Pinner, Karl Schönberg, Emil F. Tuchmann, Fritz Bamberger, Bruno Strauss, Walter Fraenkel und - als häufiger Gast - Gerhard Schulze. Sie hatten alle zuvor dem Fontane-Abend angehört. '
Zu diesem Freundeskreis gehörten ferner Prof. Erich Schmidt, Paul Knopf, und gelegentlich nahmen außer Gerhard Schulze auch Dr. Ernst Hauswedell und Karl H. Silo- mon an den Zusammenkünften teil. Der Freundeskreis beschränkte sich ohne Satzung auf elf Mitglieder, schrumpfte aber im Laufe der Kriegsjahre immer mehr zusammen. Nach 1942 mußten die Sitzungen völlig eingestellt werden, da ihr Fortbestehen für die Teilnehmer eine unmittelbare Lebensgefahr bedeutet hätte. Der Wirtschaftsprüfer und Bücherrevisor Gerhard Schulze, Treuhänder großer Wirtschaftsun- ternehmen, „Anhänger und Förderer der kapitalistischen Wirtschaftsordnung", den man zugleich als einen „Mäzen der Bibliophilie des 20. Jahrhunderts" bezeichnen konnte, war von 1933 bis 1941 Schatzmeister der Gesellschaft, der Bibliophilen. Er starb 1943, nachdem durch einen Bombenangriff auf Leipzig seine großartige Sammlung bibliophiler Drucke und anderer Kostbarkeiten, eingeschlossen Handschriften aus dem Nachlaß Fontanes, vernichtet worden war. Nideriechner sagte ihm nach, daß er in seinen wirtschaftspolitischen Anschauungen von dem liberalistischen Grundsatz »leben und leben lassen" ausging, aber „als Bibliophile änderte er diese Devise unbekümmert mit einem Druckfehler um: lesen und lesen lassen". 37 Folglich galt im Verkehr Schulzes mit dem kleinen Kreise ausschließlich die Liebe und Leidenschaft zum Buch und zum Büchersammeln, aber diese Zusammenkünfte waren eben nur eine Art Flucht aus der Wirklichkeit. Mehr gestand Nideriechner auch nicht zu: „Man hat mir geraten, diese Erinnerungen mit dem Untertitel »Bibliophilie als geistiger Widerstand in der Hitlerzeit' zu bezeichnen. Ich habe nach einigen Überlegungen davon abgesehen. Wir haben in dem Kreis kaum Widerstand geleistet, wobei aber doch darauf hingewiesen werden kann, daß der eine oder andere unter den Mitgliedern durch direkte oder indirekte Hilfe manches subjektive Leid zu lindern versucht hat. Wir haben uns an den Abenden kaum um Politik gekümmert... Aber den von Frank Thiess geprägten Ausspruch von der »inneren Emigration', gegen den nach Kriegsende Thomas Mann in Briefen an Frank Thiess opponierte, diese .innere Emigration' können alle Teilnehmer für diese Tafelrunde in Anspruch nehmen." 38
Und so empfanden die innerlich Emigrierten, denen die Bibliophilie nun als Erhaltungstrieb diente, an ihren Abenden eine „Losgelöstheit von der Zeit" und waren erfüllt „von innerer Heiterkeit".
Für Nideriechner blieb das lediglich eine „versunkene" Welt und Zeit, in der auch die meisten Bibliotheken der Mitglieder des Kreises Beute des Krieges geworden waren.
Wir Heutigen wollen und können diese Vergangenheit nicht abtun, sondern erstreben, Erinnerungen und Vermächtnisse für die gegenwärtige wie kommende Generation zu würdigen und wachzuhalten.
Im Bewußtsein der Geschichte obliegt uns darüber hinaus die Verantwortung, alle Überlegungen und Handlungen so auszurichten, daß sich Verbrechen gegen die Menschheit nicht wiederholen, die humanistischen Ideale in unserer Welt verwirk-
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