Züge im Weltbild des Verfassers, Entwicklungsfaktoren, die anderswo nicht oder nicht in dieser Deutlichkeit begegnen. Werden sie vernachlässigt, und sie sind bisher vernachlässigt worden, dann stellen sich Verzeichnungen ein, und obendrein lassen sich dann weder der Entwurf noch das Mißraten des betreffenden Werks begreifen, heiße es nun „Quitt“ oder „Vor dem Sturm“.
Wichtiger als diese Abwege der Forschung ist im vorliegenden Zusammenhang jedoch eine andere Folge der Überzeugung, daß in dem reifen Erzähler der letzten Lebensjahrzehnte der eigentliche Fontane zu sehen sei. Gebannt von dem Außerordentlichen jener späten Entwicklung, hat man es versäumt, über ihre Voraussetzungen genügend Klarheit zu schaffen. Es ist verfehlt, diese Voraussetzungen nur in den Wirklichkeitsverhältnissen zu suchen, mit denen Fontane seit Beginn seiner epischen Produktion zu schaffen hat. Von hier kommen die Anstöße, die den Wandel bewirken. Aber Fontane kann immerhin, als er den ersten Roman abschließt, auf ein poetisches, publizistisches und historiographisches Lebenswerk schon zurückblicken; er hat eine lange Laufbahn voller Wechsel und Widersprüche hinter sich gebracht, und er verfügt, was die Hauptsache ist, über eine ausgeprägte Anschauungswelt. Wenn in der Regel bedeutende Schriftsteller immer wieder zu den Problemen zurückzukehren, an denen sie ihre Weltanschauung geformt haben, so macht Fontane in diesem Punkt wenigstens keine Ausnahme.
Hier jedoch steht die Forschung noch am Anfang. Nicht, daß den Gedichten der Frühzeit oder den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gegenüber wissenschaftliche Aufmerksamkeit und Erfolg gemangelt hätten. Es gilt als sicher, daß in den Bemühungen um die märkische Lokalgcschichte, um Land und Leute Wurzeln für Fontanes Romane liegen. Auch einzelne Etappen seines politischen und beruflichen Werdegangs — beide Seiten berühren sich aufs engste — sind eingehend untersucht worden, und selbst Zusammenfassungen hat man unternommen. Auf die eine oder andere Weise spielt da überall Fontanes Verhältnis zu Preußen, zum preußischen Junkertum oder die Auffassung, die er von preußischem Wesen hat, eine Rolle. Welche Schlüsselstellung dieser Fragenkreis im Denken und Schaffen des späten Fontane einnimmt, ist bekannt; die Kontinuität ist offensichtlich. Desto befremdlicher, daß man den Zusammenhängen nicht nachgegangen ist, obwohl Fontanes unüberwindliche Gefühlsbindung an die preußischen Junker und sein an Preußen orientiertes Geschichtsbewußtsein — um nur zwei ins Auge fallende Sachverhalte zu nennen — noch Rätsel genug aufgeben. Das sind Bürden, die der Erzähler von dem Literaten übernimmt, der sein Lebtag den Zentren preußischer Politik nahegestanden hat und nicht selten aufs empfindlichste an den Krisen und Wendungen leiden mußte, die sich dort seit der Revolution von 1848 vollzogen haben.
Unter den Zeugnissen, wie Fontane sein Verhältnis zu Preußen und zum Preußentum eingerichtet hat, ragt der Roman „Vor dem Sturm “ hervor, mit dem er als Erzähler debütiert. „Vor dem Sturm“ ist, weit mehr noch als die „Wanderungen“, das Bindeglied zwischen der Produktion und den Positionen des jüngeren und des späten Fontane; mit ihm wird die Reihe der Romane eröffnet, aber er ist ein Ergebnis gut zwanzigjährigen Planens und Ringens. 1866, als Fontane mit dem Verleger über sein Projekt verhandelt, sieht er bereits auf eine zehnjährige Beschäftigung mit dem Stoff zurück, und erst 1878 kann das Werk erscheinen. Auch wenn Fontane es nicht ausdrücklich bestätigt hätte, dürfte man voraussetzen, daß in einem Unternehmen, das den Autor derart lange zu fesseln vermag, Erfahrungen und Anschauungen niedergelegt sind, die ihn im Innersten angehen.
Als erster Hinweis auf die Natur dieser Anschauungen und Erfahrungen mag dienen, daß Fontanes Absichten an einem Sujet kristallisieren, das der preußischen Geschichte angehört, und zwar einer Zeit der Entscheidung zwischen Altem und
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