Heft 
(1965) 1
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nationalen Heiligtümer besannen, daß wir uns bewaffneten, ohne die allergnä­digste Erlaubnis der Fürsten abzuwarten, ja die Machthaber zwangen, an unsere Spitze zu treten, kurz, daß wir einen Augenblick als Quelle der Staatsmacht, als souveränes Volk ren auftraten..." Font ane bricht schonungslos mit der legendä Meinung, wonach der König rief, und alle, alle kamen. Das anfängliche Verhalten des Königs rückt, obwohl psychologische und sachliche Entlastungsgründe bereit­gestellt werden, ganz in die Nähe des Landesverrats, während der Volkswille, der sich das Gebot der Stunde zu eigen gemacht hat, gerechtfertigt wird . Das Volk hat gelernt, die öffentlichen Angelegenheiten als seine eigene Angelegen­heit zu betrachten. Dies ist der Tatbestand, den der Prinz kummervoll als ein Besserwissen bezeichnet, das, solange unerhört, neuerdings Platz gegriffen habe. Während indes der Prinz, wie wenig er sich auch mit dem neuen Geist befreunden kann, fest bleibt in seinem Vertrauen auf das Volk, glaubt der Kö­nig weniger denn je an die Verläßlichkeit seiner Untertanen, seit sie begonnen haben, ihm als mehr oder minder selbständige Wesen gegenüberzutreten. Unfähig, eine andere Vorstellung neben seinen dynastischen Interessen zu fassen, eine andere Verfassung als die absolutistische zu denken, geschweige zu akzeptieren, spürt er in den ungewohnten Regungen des Volks nur die Erschütterung seines Throns, in der Willensbildung, die sich unten vollzieht, nur Auflehnung: Vor­boten der Revolution.

Diese Darstellung tastet das preußisch-dynastische Geschichtsbild an einem seiner empfindlichsten Punkte an. Sie trifft nicht nur mit erstaunlicher kritischer Prägnanz die Sinnesart Friedrich Wilhelms III., sondern kehrt darüber hinaus das bestimmende, offiziell stets verleugnete Motiv im Verhalten der preußischen Monarchen des neunzehnten Jahrhunderts hervor, das Charakteristikum, worin so verschiedene Naturen wie Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. ihrem Vor­gänger gleichen. Das ist die Furcht vor dem eigenen, in Bewegung geratenen Volk. Es sei nur daran erinnert, wie Wilhelm I., der den Schock der Achtund­vierziger Revolution nie verwunden hat, sich unablässig rückverwiesen fühlt auf die traditionellen Stützen der Monarchie, auf Adel, Kirche und besonders auf die Armee; wie er seine Sicherheit in der unbeschränkten königlichen Gewalt, namentlich in der bedingungslosen Verfügung über die bewaffnete Macht sucht und in nichts sonst. Der Zusammenhang von dynastischer Interessenpolitik, Revolutionsangst und Verteidigung absolutistischer Positionen, der im Herr­scher seinen Exponenten hat, ist zu Fontanes Zeit eher verfestigt als gelockert. Vor dem Sturm erhebt diesen Zusammenhang, der im Selbstverständnis des Monarchen als Verteidigung der gesellschaftlichen Ordnung schlechthin er­scheint, in den Rang eines Sachverhalts, der buchstäblich über das Dasein Preu­ßens entscheidet. Die Staatsleitung ist bestrebt, sich der Aufgabe zu entziehen, die herangereift vor dem Lande steht. Daraufhin droht die Volksbewegung über den König hinwegzugehen, sie droht, überzugehen in die Volkserhebung, in die Insurrektion.

Die Analogie zu den Auseinandersetzungen der ersten sechziger Jahre, die das preußische Staatsgebäude ins Wanken bringen, liegt auf der Hand. Damals gipfelt die national-revolutionäre Krise, der Bismarck dann durch die Revolution von oben, durch die Einigung Deutschlandsin der preußischen Kaserne, wie Marx sagt, ein Ende macht. Wider Willen hat sich das deutsche Bürgertum, das 1848 konterrevolutionär und loyal geworden ist, in einen erbitterten Streit mit der preußischen Monarchie verwickelt, als es sich in den hochgespannten Erwartungen getäuscht sieht, die der Regierungsantritt Wilhelms I. hervorge­rufen hat. Nachdem es anfangs scheint, Preußen werde innen- und außenpoli­tisch neue Wege einschlagen, erfüllt sich weder die Hoffnung auf freiere, ver­fassungsgemäße Zustände, auf Spielraum also für die liberale Bourgeoisie, noch

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