Heft 
(1965) 1
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welches in den Marwitzschen Memoiren bereitliegt, überhaupt erst zum Entwurf organisiert werden. Erst die reaktionäre Wendung der preußischen Politik nämlich führt die Revolutionsgefahr herauf, die "Vor dem Sturm als Angelfrage des Konflikts behandelt, in den die Befreiungsbewegung und der König geraten. Die Schuld wird eindeutig dem Monarchen zugesprochen, er ist anfangs der provozie­rende Teil, er muß seinen Standpunkt preisgeben und auf die S eite d er Patri­oten hinübertreten; seine Revolutionsfurcht zieht ein Fehlverhalten nach sich, ohne daß die Gefahr einer Insurrektion gegenstandslos wäre.

Im Bilde der Befreiungsbewegung von 1812/13 wird demnach die zeitgenössische nationale Bewegung gerechtfertigt. Das scheint kaum glaublich, wenn man be­denkt, daß Fontane zu jener Zeit keineswegs auf seiten der Opposition steht. Schon 1860, als die Hoffnung auf ein gedeihliches Zusammengehen der Monar­chie mit den Liberalen noch nicht erloschen ist, wird er Mitarbeiter der Kreuz­zeitung, des Organs der junkerlichen Extremisten, und das nicht oder doch nicht allein und in der Hauptsache dem Broterwerb zuliebe. Er darf von sich sagen, daß er nicht, wie er früher wohl notgedrungen getan hat, für einen Taler und acht Groschen diene, sondern nach freier Wahl. Fontane schlägt sich zu der Partei, welche die erbittertsten Gegner der Liberalen vereint und wäh­rend des Konflikts die einzige Stütze der Monarchie in den Vertretungskörper­schaften und unter der Bevölkerung darstellt. Setzt man und die Zeugnisse vom Werden des Romans berechtigen dazu, so spärlich sie sind setzt man voraus, daß der Roman nicht späterhin von Grund auf neu konzipiert worden ist, dann entsteht der Eindruck eines unüberbrückbaren Widerspruchs, wie ge­schaffen, um der Fabel von der Unzuverlässigkeit Fontanes, zumal von seinem politischen Wankelmut, frische Nahrung zu liefern. In Wahrheit ringt sich Fon­tane eben während seines Anschlusses an die Kreuzzeitungspartei zu festen poli­tischen und gesellschaftlichen Überzeugungen durch, deren Grundbestand er bis ans Ende beihehält. Daß sie ihn hindern, auf Biegen und Brechen und auf die Dauer mit einer Partei zu gehen, daß sie ihn zu immer wachsenden Vorbehalten nötigen, steht auf einem anderen Blatt, das indes nicht mit der Bezeichnung Unbeständigkeit, sondern vielmehr mit Grundsatztreue zu überschreiben wäre. Diese Fundamentalanschauungen regieren das Geschichts- und Gesellschafts- bild inVor dem Sturm" unmittelbarer als in den späteren Erzählungen. An­drerseits durchdringt sich ihre Widersprüchlichkeit so innig mit der zeitgenös­sischen Problematik und mit den vergangenheitsgeschichtlichen Gegebenheiten, daß hier nicht entfernt an eine Auflösung des vielfältigen Gewebes gedacht werden kann. Doch läßt sich immerhin der rote Faden zeigen. Sein Anfang ist bereits entwickelt; im Verhältnis von Befreiungsbewegung und Monarchie drük- ken sich am prägnantesten die Beziehungen zwischen den altpreußischen Herr- schaftsmächten, Königtum und Junkertum, und dem Volk aus, auf deren Neu­bestimmung der ganze Roman abzielt.

Wenn, wie gesagt, im Bild der Befreiungsbewegung die nationale Bewegung gerechtfertigt wird, so ist darum die vergangenheitsgeschichtliche Erscheinung, wie sie inVor dem Sturm gezeigt wird, nichts weniger als ein simples Eben­bild der zeitgenössischen. Sie entspricht ihr nur insofern, als sie die Staatsmacht zur Aktion anstachelt, deren Lebensnotwendigkeit sie viel früher begriffen hat.

Im übrigen ist sie ein Gegenbild, das eben jene Züge aufweist, die Fontane an der nationalen Bewegung vermißt und die er erst meint hervortreten zu sehen, als die Revolution von oben über die Opposition hinweggeht. Im Motiv der Treue, einem Zentralmotiv des Romans, konzentriert sich dieser Gegensatz. Treue ist die Bedingung, an welche die Zulässigkeit jedweder politischen Aktion gebunden wird. Sie ist das Kennzeichen der Gesinnung, die den handelnden Fi­guren stillschweigend oder ausdrücklich abverlangt wird. Der Konrektor