Heft 
(1965) 1
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Othegraven, eine ausgesprochene Vorbildsgestalt, in der sich am deutlichsten die Ebenbürtigkeit der bürgerlichen Intellektuellen gegenüber den Junkern ver­körpert, faßt die Gesinnung in Worte: "Es ist ein königliches Land, dieses Preu­ßen, und königlich, so Gott will, soll es bleiben. Es haben es große Fürsten auf- gebaut, und der Treue der Fürsten hat die Treue des Volkes entsprochen. Ein Volk folgt immer, wo zu folgen ist; es hat dem unseren an freudigem Gehorsam nie gefehlt. Aber es ist fluchwürdig, den toten Gehorsam zu eines Volkes höchster Tugend stempeln zu wollen. Unser Höchstes ist Freiheit und Liebe. Toten Gehor­sam verlangt der König, wünscht der Prinz zurück. Diese Forderung hat sich überlebt, wie sich der Absolutismus überlebt hat, in dessen Vorstellungswelt beide offensichtlich noch verharren. Doch ihre Befürchtungen sind grundlos, denn die Treue bleibt. Entgegen allem Augenschein entfaltet Othegraven eine Zuversicht, die etwas Fetischhaftes an sich hat:Aber der Bruch, den wir fürch­ten, der Bruch zwischen Volk und Königer wird sich ni cht v ollziehen. Es kommen andere, bessere Tage. Die Schwäche wird der Entschlossenheit wei­chen, und das sicherste Mittel, dahin zu wirken, ist, daß wir selber Entschlos­senheit zeigen. Es ist, wie ich wohl weiß, ein Mißtrauen da in unsere Kraft, selbst in unseren guten Willen. Zeigen wir dem König, daß wir für ihn ein- stehen, auch wenn wir ihm widersprechen. Auch die Schillschen setzten sich in Widerstreit mit seinem Willen und starben doch mit dem Rufe: ,Es lebe der König! ' Es gibt eine Treue, die, während sie nicht gehorcht, erst ganz sie selber ist. Die Zwangslage, in die Friedrich Wilhelm III. durch die Volksbewe­gung versetzt wird, zeigt sich in neuem Licht. Es ist, so wie Othegraven sie betrachtet, gar keine Zwangslage mehr, sondern schon der Ausweg daraus. Dem Monarchen wird Gelegenheit geboten, seine Fehl- und Vorurteile zu berichtigen und sich auf die Höhe seines Amts und seiner Aufgaben zu begeben. Er soll sehen, daß er seinem Volke trauen darf: Mit dem König oder ohne den König ist man sein treuer Untertan und will es bleiben.

Treue um Treue, die Eigeninteressen von Herrscher und Untertan in Überein­stimmung miteinander und demzufolge mit dem Gesamtwohl das ist der demagogische Staatsgedanke des Preußentums, hingestellt als geschichtliche Tat­sache und als verheißungsvolle patriotische Norm. Gegen seinen Verleger bemerkt Fontane in den Tagen des preußisch-österreichischen Krieges von 1866, als sein Vitzewitz-Roman ihn gewiß nicht zufällig wieder in erhöhtem Maß beschäftigt, ihm sei dabei vornehmlich um die Schilderung zu tun,wie das große Fühlen, das damals geboren wurde, die verschiedenartigsten Menschen vorfand, und wie es auf sie wirkte. Es ist das Eintreten einer großen Idee, eines großen Moments in an und für sich sehr einfachem Lebenskreise.

Befragt man das mehr als ein Jahrzehnt nachher vollendete Werk darauf, was es von dieser Gestaltungsabsicht verwirklicht und welches der große Gedanke ist, dessen Eintreten für Fontane das Wesentliche, entscheidend Neuartige an der preußischen Erhebung bedeutet, so lautet der Befund, daß hierunter nichts anderes zu verstehen ist als die Verinnerlichung eines Preußentums, in dem jener Staatsgedanke den Kern darstellt. Dies ist die Leitidee des Romans, der die Selbstbestimmung des Volks nur gelten läßt, wenn sie im Sinn der von Othegraven vertretenen Maximen erfolgt, also jegliches Souderintrrease, jeden Individual-, Gruppen- oder Klassenegoismus abgestreift hat. Was bei Othegraven den großen Namen Freiheit führt, wäre treffender Freiwilligkeit zu nennen; da fehlt auch das leiseste Verlangen nach einem Mitspracherecht im Staat, ge­schweige denn nach weitergehender gesellschaftlicher Veränderung, und das nicht bei Othegraven allein. Bewußt antimonarchische oder antifeudale Regungen des Volks sind inVor dem Sturm nicht verzeichnet, es erhebt keinerlei emanzi- patorische Forderungen, ist treu in einem Maße, das weit mehr umfaßt als die

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