Heft 
(1965) 1
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vordergrundsbeherrschende Bindung an König und Königtum. Die Treue erstreckt sich auf die Ordnung der preußischen Gesellschaft, auf die traditionelle Machtverteilung schlechthin, die am Fuß der sozialen Pyramide nicht ein­mal als Last empfunden werden.

Vermöge des Treue-Motivs wird der revolutionäre Einschlag, der den Insur­rektions-Bestrebungen innewohnt, sofort wieder weggeschnitten bzw. ideolo­gisch überfärbt. Der insurrektionelle Vorgang wird zum warnenden Beispiel her- abgedrückt, seine Positivität wird nicht aus dem Aufbegehren hergeleitet, sondern zurückgeführt auf das tadelsfreie preußische Ethos, aus dem heraus gehandelt wird. Wer darüber hinaus geht, muß sich, und sei es gleich der sonst durch und durch lautere Vitzewitz selbst, eine entschiedene Zurückweisung gefallen lassen. Die zwischen dem Volk und seinen Machthabern verlaufende Trennlinie verwischt sich und verschwindet schließlich ganz. Auf diesen Zweck sind Motivik und Handlungsführung gerichtet. Sie stehen, sofern irgend reelle Machtverhält­nisse in Betracht kommen, im Zeichen einer bedingungslosen Wahrung des innern Status quo. Das ist die Grundlage, auf der es zur Wiederbegegnung des Königs mit seinem Volke kommt, zum Bruch mit Napoleon und zur Bewilligung der Volksbewaffnung. Damit wird im Sinne Fontanes gesprochen gekrönt, was Vitzewitz eingeleitet hat: die Überwindung des Zwiespalts, der das Volk vom Staat, von der traditionellen feudalen Führungsschicht unter Einschluß des Mo­narchen, zu trennen drohte.

Fontane deutet den vergangenheitsgeschichtlichen Vorgang, der im siegreichen Kriege gipfelt, als einen umfassenden, von keinerlei außerpatriotischen Interessen beeinträchtigten Kompromiß. Die Wiederherstellung Preußens beruht auf der zu­rückgewonnenen politisch-moralischen Einheit, die von der Befreiungsbewegung keinen Augenblick gefährdet, sondern unverwandt im Auge behalten wird. (Wo das nicht der Fall ist, handelt es sich bezeichnenderweise um Reste junkerlicher Standesüberheblichkeit, die noch immer nicht voll gelernt hat, sich dem Staats­ganzen einzufügen.) Darin unterscheidet sich die Befreiungsbewegung für Fon­tane vorteilhaft von der zeitgenössischen nationalen Opposition. Denn die preußi­schen Liberalen gehen zwar auch während des Konflikts unwandelbar auf eine Verständigung mit der Monarchie aus, aber sie knüpfen ihre Verständigungs­bereitschaft an die Erfüllung innenpolitischer Forderungen, denen zuliebe sie sich gegen die Stärkung der preußischen Militärmacht wenden; sie wollen den eigenen Machtanteil vergrößern, und ihr Vorgehn ist angetan, die obrigkeitliche Revolutionsfurcht, statt sie zu beruhigen, zu steigern, obwohl sie die Revolution nicht weniger scheuen als ihre Gegenspieler. Zudem ist ihnen ein starkes Preußen nicht Selbstzweck, sondern das Mittel, um die nationalen Ziele zu erreichen; die Organisation, in der sich die preußischen Liberalen zu Beginn des Konflikts ver­einigen, nennt sich programmatisch Deutsche Fortschrittspartei. Auch darin ist die Befreiungsbewegung inVor dem Sturm ein Gegenbild, daß sie die Hoffnung auf eine Wiedergeburt des größeren Vaterlandes, das Deutschland heißt, nicht kennt; Fontane übergeht die nationalen Tendenzen, die dem patriotischen Auf­schwung von 1813 das Gepräge geben. In seinem Roman erscheint dieser Auf­schwung einzig als eine Wirkung preußisch patriotischen Geistes.

Das ist derselbe Gesichtspunkt, aus dem Fontane den Krieg von 1866 betrachtet, der den innerpreußischen Konflikt anschneidet und die Revolution von oben ins Werk setzt. Fontanes Feldzugs-Geschichte rühmt die Disziplin, die das ganze preußische Wesen durchdringe und in einer gewissen dienstbereiten Freudigkeit gehorche, sobald der König ruft. Sie sei etwas spezifisch Preußisches, das sich nur in einem Lande ausbilden konnte,wo seit anderthalb Jahrhunderten das König- tum dem Volke in Pflichterfüllung vorangeht und wo, trotz gelegentlichen,

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