Heft 
(1965) 1
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übrigens nicht tiefgehenden Schmollens und Grollens, jene Patriarchalität fort- besteht, die den schlichten Mann auf seiner Hufe fühlen läßt: ,Mein König ruft mich nur, wenn er mich braucht. Dies stolze ,ich dien', das im Herzen jedes Preu­ßen eingeschrieben steht, ... trat... in einer Großartigkeit in die Erscheinung, die selbst diejenigen überraschte, die diesen Zug des preußischen Wesens sehr wohl gekannt und ihm vertraut hatten. Willig oder nicht, jeder setzte seine Ehre darein, zu rechter Stunde an rechter Stelle zu sein. Es war als ob sich ein ganzes Volk das Wort gegeben habe, es koste was es wolle, seine Pflicht zu tun.' Angesichts vonVor dem Sturm erübrigt es sich, darüber zu rechten, daß Fontane in dieser Darstellung, mit der er offiziellen Beifall zu finden hofft, das Verhältnis zwischen König und Volk beschönigt, den Gegensatz bagatellisiert. Wesentlich ist, daß hier wie dort die Treue als preußischer Charakterzug und als Unterpfand sowohl der inneren Befriedung wie des Erfolgs im Felde ange­sehen wird. Fontane zitiert bei derselben Gelegenheit die ProklamationAn mein Volk, die Wilhelm I. bei Kriegsausbruch erläßt:Unsere Gegner, heißt es da, täuschen sich, wenn sie wähnen, Preußen sei durch innere Streitigkeiten ge­lähmt. Dem Feinde gegenüber ist es einig und stark; dem Feinde gegenüber gleicht sich aus, was sich entgegenstand, um demnächst in Glück und Unglück vereint zu bleiben.Vor dem Sturm gibt im geschichtlichen Gleichnis die nämliche Antwort auf die nationalrevolutionäre Krise. Der Roman verherrlicht deren großpreußische Lösung, aber nicht ihrer progressiven Züge wegen, und er verbindet damit die nämlichen Hoffnungen, die der Sache nach auf eine Ver­ewigung der anachronistischen preußischen Zustände hinauslaufen.

Fontanes Absicht ist freilich eine andere. Er verlangt sowohl von der Monarchie wie vom Adel, daß sie sich der Anachronismen, mit denen sie behaftet sind, entledigen und sich gutwillig den veränderten Bedingungen anpassen, die vor allem durch die Entwicklung des dritten Standes gekennzeichnet sind. Insofern bedeutetVor dem Sturm auch eine Mahnung. Das erklärt, weshalb sich Fon­tane in den siebziger Jahren, als seine Erwartungen zunehmend enttäuscht wer­den, zur Fertigstellung des Werks entschließt. Nur Fontane meint, und diese Überzeugung ist inVor dem Sturm niedergelegt, daß der Umschwung, den er ansetzt, sich als ein reiner Bewußtseinswandel vollzieht. Und er weckt den An­schein, als gehe dieser Wandel mit Umwälzungen wie der Erhebung von 1813, die er darstellt, und der Revolution von oben, an die er dabei denkt, notwendig einher. Solchen Illusionen, die Fontane schon, als er die Schlußabschnitte des Romans niederschreibt, nicht mehr voll aufrecht erhalten kann, gibt er kurz darauf inSchach von Wuthenow ein für allemal den Abschied.

ERNST TIETZE

Vom Oderbruch und den Oderbrüchern

Als wir noch junge Lehrer waren und gläubiger als heute, erzählten wir unsern Schulkindern wundersame Geschichten, wie das Oderbruch einst war, wie wild und schaurig in den ältesten Zeiten und wie die Menschen aus dem einstigen Bruch einen Gottesgarten schufen. Wir lasen das alles bei unserm guten alten Fontane, der es doch wissen mußte, weil er hier viele Jahre in Letschin bei seinen Eltern gelebt hatte, und weil es auch im Lesebuch und in andern schönen dicken Büchern so zu lesen war. Später, als viele von uns das Oderbruch aus eigener Anschauung kennen lernten, kratzten wir uns hinter den Ohren, wenn wir wieder einmal dieWanderungen durch das Oderland in die Hand nahmen,

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