Heft 
(1965) 1
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weil uns vieles, was darin zu lesen war, doch zu märchenhaft vorkam. Wir wollten es kaum glauben, daß man früher an manchen Tagen 500 Tonnen Fische mit dem Handkescher fangen konnte; daß in Küstrin in einem Jahre 32 Millionen Schock Krebse 1 950 000 000 Stück verzollt worden sein sollen; daß die Oderbrücher früher nur von Krebsen und Fischen und Fischen und Kreb­sen gelebt haben sollen; daß in Letschin auf jedem Hause drei oder vier Stor- chennester waren; daß es soviel Mücken dort gab, daß ihr Summen in der Ferne wie Trommelrühren erklang; daß die Bauern sich verpflichten mußten, in jeder Woche den Knechten höchstens zweimal Hasenbraten vorsetzen zu lassen; daß die Oderbrücher so weltfremd waren, daß sie erstaunt zusammengelaufen wären, wenn man ihnen einen Pflug gezeigt hätte. Da hatten die Chronisten unserm Fon­tane doch zuviel dummes Zeug vorgeschwindelt. Wir wußten sehr wohl: Beim Hechtestechern und bei den Fischzügen war wohl alle Tage Fischtag, aber nicht alle Tage Fangetag. Wir rechneten nach und fanden, daß man mit 32 Millio­nen Schock Krebsen alle Flußläufe, Seen und Laken des Bruchs hätte pflastern können. Wir beobachteten, daß die Störche keinen Mitbewohner auf den alten Strohdächern duldeten. Wir wußten, daß der Bauer, der Hasen gejagt hätte, frü­her nach Küstrin in die Karre gekommen wäre und außerdem fünfzig Hiebe mit der siebenschwänzigen Katze als Zulage erhalten hätte. Wir waren überzeugt, daß der Chronist, der Mückensummen mit Trommelrühren verwechseln konnte, ver­stopfte Ohren hatte und daß die Werber und die Viehhändler schon dafür gesorgt haben werden, daß die Oderbrücher in die Welt hinauskamen.

Und ebenso kritisch betrachteten wir alles, was er uns von dem Volkstum des Oderbruchs erzählte. Nach seinen Schilderungen waren die Oderbrücher bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hinein weltfremde, unwissende, abergläu­bische, selbstsüchtige kulturlose Nachkommen der wendischen Urbevölkerung. Wir suchten nach Spuren des Wendentums und fanden so gut wie keine. Die Dorfnamen waren allerdings Zeugen, daß diese Dörfer einst von Wenden gegrün­det wurden, aber als wir die Familiennamen der Deich- und Uferordnung unter­suchten, fanden wir nur 17 Prozent, die als slawisch anzusprechen waren. Von den altenwendischen Trachten waren nur noch wenige zu entdecken, und diese waren nur etwa dreihundert Jahre alt und fanden sich nur am Rande des Bruchs, zwischen Lebus und Kunersdorf, im Bruch selbst war nicht eine. Mit den Wenden aber hatten sie nichts zu tun. Sie waren nur in der Magdeburger Gegend und im Fränkischen einst ähnlich zu finden. Wir suchten nach Spuren der alten Haufen- dörfer, aber alle einstigen Wendennester waren Rundplatzdörfer und sind meist noch heute als solche auszumachen. Als ich mit unserm LPG-Vorsitzenden über die Kuhmistwälle sprach, die früher die Dörfer umgeben haben sollen, hat er mich herzlich ausgelacht und gespottet:Wissen Sie, ich glaube, daß wir mindestens zehn Mal mehr Kühe als die alten Wenden haben, aber soviel Mist, daß man einen haushohen mächtigen Wall damit um ein Dorf bauen kann, gibt es in un- serm ganzen Bereich nicht. Und hatten die denn damals schon Stallfütterung? Ich schüttelte den Kopf. Der alte Pfarrer aus Stargard, der das einst dem Lychener Oberpfarrer Buchholtz berichtet hatte, von dem es dann Fontane übernahm, hatte gesponnen. Und anders war es auch nicht mit den Blockhäusern, die in der angeblichen Wendenzeit hier gebaut worden sein sollen. Im ganzen Oderbruch gibt es nur noch ein Blockhaus. Das steht in dem Neutrebbiner Orts­teil Grube, ist aber erst nach 1754 erbaut worden. Die alten Oderbrücher Häuser waren Lehmkaten und oft genug nur Dachhäuser, und Vorfahren unserer heutigen Oderbrücher Frühgemüsezüchter waren dieWenden auch nicht, denn die Kürbisse, die sie auf ihren Mistwällen gezüchtet haben sollen, lohnten nicht den Transport in die Ferne. In der Nähe konnte jeder Märker aber soviel Kür­bisse erstehen, wie er brauchte, da war er nicht auf die Oderbrücher angewiesen.

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