Heft 
(1965) 1
Seite
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Und wie steht es mit dem Aberglauben der Oderbrücher? Von den alten Wenden­göttern weiß hier niemand etwas, und wenn ihr die ältestenklugen Frauen'' nach dem Notschirmer Radegast, dem Kriegshelfer Swantewit oder dem Leid- wahrer Triglaff fragen würdet, würden sie dumme Gesichter machen. Die alten Zaubersprüche der Schäfer gehen auch nur bis zum heiligen Nikolaus, der Jung­frau Maria und zum Vater, Sohn und Heiligen Geist zurück. Selbstverständlich wissen die Kinder noch ganz genau, daß der Osterhase Eier legt, daß der Klap- perstorch die Kinder bringt, daß man Pfingsten Maien vor das Haus stellen sollte und daß derWeihnachtsmann, die Kroche ihnen Geschenke bringt. Aber zu den Kartenlegerinnen, den Kaffeegrundhexen und den Besprecherinnen gehen nur noch verliebte kleine Mädchen. Abergläubische Bauern gibt es nur noch in dummen Filmen, die eine Beleidigung der Bauern sind, und die Zukunft kann man leichter von Horoskopen sich vorschwindeln lassen.

Das Wendentum verschwand hier schon im dreizehnten Jahrhundert, als die Kirche das Land kolonisierte. Aus den slawischen Fischern wurden damals Kos­säten, das heißt landlose Hüttenbewohner (cossati-Hüttenbewohner), während die deutschen Kolonisten als Bauern angesetzt wurden. Die Dörfer am Bruchrande wuchsen an Größe und Bedeutung, viele wurden neu gegründet. Wir werden nicht irren, wenn wir die Dörfer mit deutschen Namen als deutsche Gründungen anneh­men, zumindest als Erweiterung älterer wendischer Siedlungen (Thöringswerder, Sachsendorf, Neuendorf, Metzdorf, Cunersdorf, Kloster Friedland, Bliesdorf usw.) Von Gegensätzen zwischen der einheimischen wendischen Bevölkerung und der zuwandernden deutschen hören wir nichts.

Die zunehmende Bevölkerungszahl zwang, neues Land urbar zu machen. Die deut­schen Hüfner und die slawischen Kossäten nahmen den Sumpfwald in Pflege. Das Weidengestrüpp wurde ausgerodet. Beil und Säge hatten harte Arbeit. Die Erlen und die alten Eichen fielen, und wo einst Bruchwald war, grünten in den näch­sten Jahren freundliche Wiesen. Aus dem Oderbruch wurde ein Wiesen- und Wei- denland. Im 16. Jahrhundert wurden die ersten Dämme erbaut. Ein wesentlicher Bevölkerungszuwachs trat aber zunächst noch nicht ein. 1524 gab es nach den statistischen Angaben in denKunstdenkmälern des Kreises Lebus im Lande Lebus 725 Bauern und 785 Kossäten, 1624 785 Bauern und 953 Kossäten. Slawi­sche Urkunden aus dem Oderbruch kennen wir überhaupt nicht. Für das Jahr 1751 zählt Dr. Gottfried Wentz in Mengel, Das Oderbruch, Bd. 1, (1930) 940 Fami­lien auf, davon 116 Bauern, 99 Kossäten, 543 Fischer, 182 Hausleute. Von Wenden hören wir außer bei Fontane nichts mehr. Dazu sollten 1252 neue Familien an- gesetzt werden. Zu ihnen gesellten sich später noch etwa 400 Spinnerfamilien. Alle diese Familien waren deutscher Abkunft, auch wenn sie aus Polen zuwan­derten, von wo sie ihres Glaubens wegen fortzogen. Unter den neuen Kolonisten gab es wenige Reiche und viel Arme, gab es gute und weniger gute, fleißige und weniger fleißige. Sie waren so wie wir heute noch sind. Unter ihren Frauen gab es Hausfrauen und Ausfrauen, wirtschaftliche und liederliche, Schmuck­stücke und Schmutzfinken. Sie waren nicht viel anders als die übrigen Frauen. Die Männer waren tüchtige Handwerker und Bauern. Die Spinner starben früh durch die harte Arbeit am Webstuhl, die Landarbeiter auf den Ämtern bekamen krumme Rücken.

Und wie schildert Fontane die Oderbrücher Kolonisten? Man lese den Brief, den er am Schluß des KapitelsDas Oderbruch wiedergibt. Wir können annehmen, daß Fontane diesen anonymen Brief selbst geschrieben hat, das verrät nicht nur der Stil, das verrät noch mehr der Inhalt. Dieser Brief ist das harte Urteil des bürgerlichen Apothekersohnes über die Menschen, die ihm im Grunde doch fremd waren.

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