Die Oderbrücher, das waren doch nicht die wenigen Großbauern, die sich stolz Gutsbesitzer nannten und sich doch niemals mit den reichen Dithmarschern und Vierländern messen konnten. Das waren auch nicht die Oberamtmänner und Amtmänner, die sich oft aus einfachsten bäuerlichen Verhältnissen durch ihre Tüchtigkeit emporgearbeitet hatten. Sie konnten selten die bäuerliche Abstammung verleugnen, wenn es auch wenige fertig brachten, mitten in der Ernte nach Monte Carlo zu fahren, um dort ein paar Tausender zu verspielen und den kleinen Gernegroß in einer sehr zweifelhaften "großen Welt“ zu spielen.
Die Oderbrücher, das waren nach dem ersten Weltkrieg die Bauern, die hier wie anderswo sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend allein auf dem Felde abrackern mußten, weil die Landflucht alle guten Kräfte zur Stadt abzog, wo sie oft wie Blumen ohne Sonne verwelkten. Dazu kam die Kinderarmut, die die Höfe vereinsamen ließ. Die Oderbrücher, das waren die Handwerker, die am Mon- tagmorgen nach Berlin fuhren und nach der schweren Alltagsarbeit erst am Sonnabend zurückkehrten, um wenigstens das Wochenende mit ihrer Familie zu ver- leben. Die Oderbrücher, das waren die bodenständigen Landarbeiter, die für geringsten Lohn ihre Pflicht erfüllten.
Nach dem zweiten Weltkrieg kehrten viele nicht mehr in die Heimat zurück. Das Bruch verödete. Viele Ausbauten stehen heute leer. Die Einwohnerzahl der großen Dörfer, in denen sich das neue sozialistische Leben konzentrierte, haben dagegen stark zugenommen. Die Umsiedler, die von jenseits der Oder kamen, wohnen jetzt in den Dörfern, die einst von der geringen, wendischen Fischerbevölkerung gegründet wurden, die später mit ihren deutschen Brüdern den Bruchwald rodeten. Sie wohnen vereint mit den Nachkommen der Kolonisten, die nach der Entwässerung des Bruchs das Land besiedelten, neue Ländereien erschlossen, neue Dörfer gründeten. Sie arbeiten auf den Feldern der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), in den Werkstätten der Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS), in den Treibhäusern der Gemüsekombinate, die das Oderbruch zur Gemüsekammer für Berlin machen sollen, an den Maschinen der Produktionsgenossenschaften der Handwerker. Wir wünschen ihnen allen eine glückliche Zukunft.
Stellungnahme
zu dem Aufsatz von Ernst Tietze: »Vom Oderbruch und den Oderbrüchern«
Herr Dr. Frido Metsk von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für sorbische Volksforschung, Bautzen, dem der Aufsatz zur wissenschaftlichen Beurteilung vorlag, erteilte der Redaktion der „Fontane-Blätter“ die Genehmigung zur Veröffentlichung folgender Stellungnahme:
„Ich hoffe, Ihnen in etwa einem Monat ein Exemplar meines Buches „Der kurmärkisch-wendische Distrikt“*) übersenden zu können. Dort knüpfe ich auch an Fontanes „Wanderungen“ an, allerdings wesentlich positiver als Herr Tietze. Doch bezieht sich das auf Fontanes Bericht aus dem „Wendland“ an der „Wendischen Spree“; das „Oderbruch“ ist mir dagegen ein noch ungeklärtes Problem. Archivalische Quellen als Stützen für Fontanes Aussagen sind mir bezüglich des Oderbruches bisher nicht in die Hände gekommen. Tharaeus nennt 1598 „Oderwenden“. Ich war anfangs geneigt, sie als Oderbrücher zu identifizieren; doch
**) Frido Metsk: "Der Kurmärkisch-wendische Distrikt.“ Ein Beitrag zur Geschichte der Territorien Bärwalde, Beeskow, Storkow, Teupitz und Zossen unter besonderer Berücksichtigung des 16. bis 18. Jahrhunderts. Bautzen: Domowina-Verlag, 1965. 263 S., 44 Bild-Taf., 8 Kt, 8°.
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