talb Jahrzehnte später in London und Oxford sehr freundschaftlich vermehrt hatte. Max Müller gedachte in seinen Aufzeichnungen auch des leipziger Literatenvereins, in dem er selbst und Fontane und manche indere für die freiheitlichen Ideen des Vormärz entflammten Burschen- ehaftler und Demokraten“ vor langen Jahren nicht nur eigene Gedichte m Stile Herweghs zum besten gegeben, sondern auch den Vorträgen sines gewissen Wilhelm Wolfsohn aus Odessa über russische Literatur gelauscht hatten. Nach der Lektüre von Müllers Erinnerungen schrieb Fontane am 5. Januar 1897 an den Völkerpsychologen Moritz Lazarus: ;',Daß der Rütli eingeschlafen, ist ein Segen; er war seit Jahren ein Trauerbild; je mehr ich, rückblickend, an ihm hänge, je mehr darf ich dies vielleicht aussprechen, ohne undankbar zu sein. In den letzten Tagen habe ich mich mit einem Vor-Vor-Rütli beschäftigt, der in die Jahre 41 und 42 fiel. Die Veranlassung dazu gaben mir .Literary Recollections“, die Max Müller in ,Cosmopolis‘ veröffentlicht 7 . Da ziehen all die alten Schwadroneure wieder herauf, darunter auch — freilich nur in kurzer Erwähnung — Wolfsohn und Jellinek, die Sie ja wohl beide noch gekannt haben, ersteren gewiß. Wir waren in diesem Leipziger Rütli Bechs, acht Mann, wovon 2 füsiliert wurden (Rob. Blum und Jellinek), was etwas viel ist, 2 verkamen in Amerika, 2 wurden sächsische Philister und Max Müller wurde berühmt... “ 8
Diese Beschäftigung anfangs Januar 1897 mit dem Leipziger „Vor-Vor- Rütli“ der Jahre 1841 42 könnte möglicherweise mit dem Beginn der Arbeit an dem vierten Kapitel von „Mein Leipzig lob’ ich mir“, das die Erinnerungen an den „Herwegh“-Klub, an Max Müller sowie an Wilhelm Wolfsohn und dessen Vorträge über russische Literatur enthält, gleichzusetzen seinn 9. Vielleicht war die Ausarbeitung der Erinnerungen a Wolfsohn und die russische Literatur sogar überhaupt erst durch Max Müllers „Literary Recollections“ angeregt worden. Der ehemalige Literatenverein ging durch Fontanes Schilderung als „Herwegh“-Klub in die Literaturgeschichte ein — eine Bezeichnung, die er in Wirklichkeit nicht getragen hat. Fontane ist auch in anderer Hinsicht nicht ganz korrekt. So berichtet er z. B. nichts von dem fortschrittlichen Charakter des Vereins, der in den Vormärz-Jahren — wie die Stadt Leipzig überhaupt — unter anderm auch ein Sammelpunkt der aus Metternichs Herrschaftsbereich emigrierten österreichisch-ungarischen Dichter und Schriftsteller war. Fontane ignoriert die aktive und progressive Rolle, die dieser Verein im gesellschaftlichen Leben der Stadt seinerzeit gespielt hat 10 . Er nennt ihn lediglich „Herwegh“-Klub in Erinnerung an die Herwegh- Schwärmerei seiner Mitglieder, die ihren Höhepunkt bei einem Fest erreichte, das dem Freiheitssänger im Oktober 1842 im Hotel Pologne mit stürmischen Ovationen bereitet worden war. Aber diese Herwegh- Verehrung war nicht das einzige, was den Klub kennzeichnete. Der ehemals jungdeutsche Heinrich Laube z. B. schilderte später die Stimmung der Dichter, Burschenschaftler und Revolutionäre, die ihm angehörten, anders; er sagte: „Hier im Hotel Pologne stand der Haß im Vordergrund, der Haß gegen die bestehende bürgerliche Gesellschaft, welche man total geändert sehen wollte“ ”.
Im Jahre 1897 war Fontane mehr geneigt, sich über seine und anderer „Freiheitsphrasendichtung“ 12 mit leichter Ironie zu erheben, obwohl es ihm |ein halbes Jahrhundert vorher durchaus Ernst damit gewesen ist. Auch die Charakterisierung seines im Klub „in bestimmter Richtung“ tonangebenden Freundes Wilhelm Wolfsohn, der ihn in jenen freiheits-
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