Heft 
(1965) 2
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lung zustande gekommene Bekanntschaft mit einem Russen, der für die deutsch-russischen literarischen Beziehungen der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre von großer Bedeutung war: Nikolai Melgunow. Dieser reiste im Juni 1846 mit seiner Frau einer dereroberten Moskauer Damen nach Paris und traf bei seinem Aufenthalt in Berlin mit Fontane zusammen. Melgunow war 1837 der Initiator der ersten rus­sischen Literaturgeschichte in deutscher Sprache gewesen, die einen breiteren Wirkungskreis erreichte Wenn es auch offensichtlich nur bei einer flüchtigen Bekanntschaft blieb, denn Fontane erwähntdie liebens­würdigen Melgunoffs nur gelegentlich in seinen Briefen aus der da­maligen Zeit, so steht doch außer Frage, daß der seinerzeit balladendich­tende Fontane und Melgunow sich während ihrer Begegnungen auch über die deutsche und russische Literatur unterhalten haben. Darum darf der heute außerhalb der Slawistik kaum noch bekannte Melgunow in diesem Zusammenhang auch nicht außer acht gelassen werden.

Russische Literatur imTunnel über der Spree

So eingehend Fontane in seinen Erinnerungen über die von Freund Wolfsohn im Leipziger Literatenverein empfangenen Kenntnisse berichtet, so vollkommen verschweigt er, daß er ein Jahrzehnt später in Berlin in einer andern Dichtervereinigung ebenfalls mit der russischen Literatur in Berührung gekommen ist. Dabei ist das Kapitel über denTunnel über der Spree und hier wurde eben beiläufig auch russische Literatur be­trieben sonst sehr ausführlich und behandelt das Berliner literarische Leben sowohl der vierziger als auch der fünfziger Jahre J7 . Zwar er­wähnt Fontane sowohl inVon Zwanzig bis Dreißig als auch in dem BuchScherenberg und das literarische Berlin, das 13 Jahre eher heraus­kam und in manchem die Grundlage für dieTunnel-Erinnerungen bil­det, einen Mann, der 1842 imTunnel als Übersetzer Lermontows eine Rolle gespielt hat Dies war Roman Budberg-Benninghausen, ein Est­länder, der nach Beendigung seiner Dorpater Studien sich in Berlin auf­hielt. Budberg-Benninghausen kam imTunnel im Verlaufe des Jahres 1842 sehr oft zum Vortrag und erregte mit seinen Lermontow-Übersetzun- gen ein lebhaftes Für und Wider. DieTunnel-Protokolle dieser Vor­lesungen, wie z.B. von Lermontows PoemenDer Novize,Die Gaben des Terek undDie drei Palmen, sowie einer Skizze aus dem RomanEin Held unserer Zeit sind immer sehr ausführlich und haben sich bis heute in der Universitätsbibliothek Berlin erhalten. Das alles spielte sich jedoch ab, als Fontane noch nicht imTunnel verkehrte. Er selbst kannte weder Budberg-Benninghausen noch hörte er seine Vorlesungen. Fontane besuchte bekanntlich den BerlinerTunnel das erste Mal am 30. Juli 1843, nachdem sein Versuch, sich in Leipzig als Schriftsteller zu etablieren, gescheitert war. Vermutlich befand er sich bei diesem ersten einmaligen Gastbesuch auf der Rüdefahrt von Leipzig nach Letschin, wo er sich in der Folgezeit bis zur Abberufung zum Militär mit Geschichtsstudien die Zeit vertrieb. Budberg-Benninghausen war zur Zeit von Fontanes erstem Erscheinen imTunnel schon ln seine Hei­mat zurückgekehrt. Nun läßt aber Fontane in seinen beiden oben ge­nannten Erinnerungen an denTunnel seine Aufstellung der Mitglieder darunter Budberg für die Zeitvon 40 bis 45 bzw.ums Jahr 1844 und noch etwa 15 Jahre darüber hinaus gelten, so daß der Leser ohne weiteres annehmen muß, er habe diesen persönlich gekannt. Dies führte sogar dazu, daß Literaturforscher dem Irrtum verfielen, Fontane sei

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