durch Budberg im „Tunnel“ mit der russischen Literatur vertraut gemacht worden. Dem ist jedoch nicht so. Dennoch ist Fontanes Erwähnung von Budbergs Ubersetzertätigkeit bedeutungsvoll und kennzeichnet sein eigenes Interessengebiet. Fontane selbst bekannte, daß gerade Lermon- tow, der so häufig von Budberg übersetzt und im „Tunnel“ vorgetragen worden war, sein „besonderer Liebling“ gewesen sei. Es kann also sehr wohl einen tieferen Grund gehabt haben, wenn Fontane die Schilderungen seiner Freunde über das „Tunnel“-Jahr 1842 — und nur um von Freunden empfangene Berichte kann es sich im Hinblick auf Budbergs Konkurrenzfähigkeit als Übersetzer handeln — für seine Erinnerungen benutzte. Hier gilt es noch Einzelheiten in Fontanes Verhältnis gerade zu Lermontow nachzuspüren. Sicher scheint jedoch, daß Freund Lepel, der ja überhaupt in Fontanes geistigem Werden eine große Rolle gespielt hat, nicht ohne Einfluß auf seine Vorliebe für diesen russischen Dichter gewesen ist. Lepel hatte 1842 Budberg gut gekannt und dessen Übersetzungen zur Zeit ihrer Entstehung kennengelernt. Fontane mußte ihm noch 1846 ausführliche Nachrichten über Budberg nach Palermo berichten, die ein anderes ehemaliges „Tunnel“-Mitglied aus Estland mitgebracht hatte“. In einem fünf Jahre später geschriebenen Brief Lepels an Fontane — vom 18. August 1851 — weist Lepel seinen Intimus Fontane auf Bodenstedts eben erschienenes Buch „Tausend und ein Tag im Orient“ 31 hin und empfiehlt ihm dringend, Lermontows darin enthaltenes „Lied vom Zaren Iwan Wassiljewitsch“ zu lesen ”.
Bei der Ausarbeitung des Scherenberg-Buches benutzte Fontane neben den Schilderungen seiner Freunde aber auch die Protokolle des „Tunnels“. Diese gaben ihm reiche Auskunft über Budbergs Übersetzer- und Vorlesertätigkeit. Die Protokolle unterrichteten ihn über Inhalt und Form aller weiter oben genannten Lermontow-Ubersetzungen und auch Budbergs Buchgeschenk an die „Tunnel“-Bibliothek, nämlich Lermontows „Novize“ 33 , stand ihm zur Verfügung. Und nicht erst in den achtziger sondern auch schon in den fünfziger Jahren nahm Fontane in seiner Eigenschaft als Schriftführer des „Tunnels“ in diese Protokolle Einblick 3 \
Es ergibt sich also, daß Fontane — wenn auch nur kurz — in seinen Erinnerungen russische Literatur im „Tunnel über der Spree“ erwähnt, deren Vortrag er selbst nicht miterlebt hat, daß aber das persönlich auf diesem Gebiet dort Vernommene in seinen Reminiszenzen nicht berührt wird. In Wirklichkeit waren nämlich auch Werke von Puschkin und Gogol im „Tunnel“ vorgetragen worden und zwar zu einer Zeit, da Fontane schon ständiges Mitglied dieser Dichtervereinigung war. Am 15. Dezember 1850 las ein leider namentlich nicht genannter Gast Puschkins Poem „Poltawa“ in eigener Übersetzung vor. Fontane selbst war damals gerade Schriftführer und hielt handschriftlich in dem bis heute in der Berliner Urtiversitätsbibliothek erhalten gebliebenen Protokoll fest: „Eine Fülle von Arbeiten, wie zu den sagenhaften Glanzzeiten des Tunnels ist auf dem Sekretariatstisch niedergelegt. Den Reigen eröffnet Rune I mit einer Übersetzung aus dem Russischen und zwar mit .Poltawa', einem epischen Gedicht des Alexander Puschkin. Der Tunnel folgte dem leider monotonen und etwas schwer verständlichen Vortrage des Übersetzers mit gespannter Aufmerksamkeit und fühlte sich durch den Stoff überaus angesprochen .. . Das Gesamturteil schwankte zwischen gut und ziemlich gut.“ 35
Vermutlich handelte es sich bei diesem Vortragenden um den als Übersetzer Lermontows schon erwähnten Friedrich Bodenstedt, der damals
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