in Berlin lebte und unter anderm in der „Deutschen Reform“, an der ja auch Fontane mitarbeitete, Puschkin-Ubersetzungen veröffentlichte6. 3 Seine Verdeutschung von Lermontows „Lied des Zaren Iwan Wassil- jewitsch“ empfahl Lepel — wie schon berichtet — acht Monate später Fontane zur Lektüre. Bodenstedt war seinerseit — nicht zuletzt durch seinen eigenen Dichterruhm — wohl der populärste, wenn auch nicht der beste und nicht der gewissenhafteste Übersetzer aus dem Russischen. Er übertrug in den fünfziger Jahren zwei Bände Lermontow 37 und drei Bände Puschkin 3 ", in den sechziger Jahren zwei Bände Turgenjew 3 ". ln die Puschkin-Ausgabe nahm er auch eine Übersetzung des oben erwähnten „Poltawa“ auf. Bodenstedt und Fontane kannten sich gut — bei seinem längeren Aufenthalt in München in Februar März 1859 besuchte Fontane den Übersetzer als einen alten Bekannten Sicher sind ihm auch Bodenstedts Ausgaben russischer Dichter nicht unbekannt geblieben.
Bald folgte der „Poltawa“-Vorlesung ein weiteres Gedicht von Puschkin. Am 5. Januar 1851 las das ständige Tunnelmitglied Franz Broemel — mit „Tunnel“-Namen Tegner — seine Übersetzung von Puschkins Poem „Die Zigeuner“ vor. Fontane vermerkte — wiederum in seiner Eigenschaft als Schriftführer — ziemlich lakonisch im Protokoll: „Man darf behaupten, daß das Gedicht mehr lang als gut befunden wurde“ 41 .
A. Viedert
Der bedeutendste Übersetzer, den Fontane im „Tunnel über der Spree“ .^russische Dichtung vortragen hörte, war jedoch der schon eingangs erwähnte August Viedert, der neben Wolfsohn die entscheidendste Bedeutung für Fontanes frühzeitige Begegnung mit der russischen Literatur gehabt hat. Fontanes Bekanntschaft mit Viedert war durch Wolfsohn zustande gekommen, der den jungen Übersetzer 1852 / 53 in Dresden kennengelernt hatte. Viedert war wie Wolfsohn deutscher Abstammung. In Rußland geboren und aufgewachsen, kam er in den fünfziger Jahren nach Deutschland, versuchte hier festen Fuß zu fassen und betätigte sich eifrig als Übersetzer — vor allem von Werken Gogols, Iwan Turgenjews und des Fabeldichters Kolzow. Ende der fünfziger Jahre kehrte Viedert nach Rußland zurück und wurde Lehrer in Charkow. Wann er zum ersten Mal mit Fontane zusammengetroffen ist, ist ungewiß. Möglicherweise begegneten sie sich schon im Oktober 1853, als Viedert auf der Durchreise nach Rußland sich kurze Zeit in Berlin aufhielt. Von Rußland kam er im April 1854 wieder nach Berlin. Am 22. April 1854 erwähnt Fontane ihn zum ersten Mal in einem Brief an Lepel. Er schreibt dort: „Morgen frißt mir Storm den Vormittag weg. Vor dem Tunnel empfang ich Herrn August von Viedert, der mich gebeten hat, ihn einzuführen. Er wird ein Lustspiel ,Der Revisor' aus dem Russischen des Gogol (sehr berühmt) vorlesen“. 47 Also muß Fontane am 22. April 1854 Viedert bereits gekannt haben. Am darauffolgenden 23. April führte er den Deutsch-Russen in den „Tunnel“ ein. Davon zeugt bis heute das Fremdenbuch des „Tunnels“, das sich in der Berliner Universitätsbibliothek erhalten hat. Viedert las an jenem Abend seine gerade vollendete Übersetzung des „Revisors“ von Gogol vor — bei der Länge des Stückes ein abendfüllendes Programm 43 . Diese erste Verdeutschung der unsterblichen Komödie des Begründers des russischen Realismus wurde 1854 als Bühnenmanuskript auch gedruckte 4 4. Das Protokoll über di
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