Heft 
(1965) 2
Seite
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Wenn sie auch nicht wie vielfach angenommen den Zaren beeinflußt hatten, 1861 die Leibeigenschaft aufzuheben, so war die schonungslose Wahrhaftigkeit in der Darstellung überlebter Verhältnisse durch ihre aufklärende Wirkung von nicht zu verkennender Bedeutung für die wei­tere Entwicklung der russischen Gesellschaft. Der erste Band dieser von» Viedert übersetzten Skizzen 11 an der Zahl erschien im Ok­tober 1854 im Verlag von Heinrich Schindler in Berlin M . Viederts Be­ziehung zum Verleger Schindler war durch einen anderen deutschen Dichter nämlich Theodor Storm zustande gekommen. Ein Zeit­genosse, der Berliner Journalist Ludwig Pietsch, schreibt in seinen Er­innerungen, Storm habe TurgenevsJägerskizzen aus Viederts Uber­setzungsmanuskript in Potsdam, wo sich Viedert vorübergehend im August und September 1854 aufhielt, kennengelernt . Doch muß dies schon früher in Berlin geschehen sein, denn schon im September be­richtete Storm an Fontane, daß er das Buch, das Anfang Oktober her­auskam, an den Verleger Schindler vermittelt habe. Möglicherweise lernte Storm dieJägerskizzen in gemeinsamer Zuhörerschaft mit Fontane kennen, denn die beiden deutschen Dichter verkehrten ja damals sehr rege miteinander. Daß Storm den russischen Übersetzer schon im Mai 1854 also als dieser Fontanes Gast war persönlich gekannt hat, geht aus Storms Brief vom 27. 5. 1854 an Friedrich Eggers hervor, in dem er bat, seine an Viedert ausgeliehenen Gedichte zurückzufordern M . Man möchte annehmen, daß Storms Bekanntschaft mit Viedert spätestens von jenem Sonntag, 23. April 1854, datiert, als Fontane ihm den Vor­mittag widmete und abends Viedert in denTunnel einführte. Storms und Fontanes Freundschaft mit Viedert und beider Wissen um dessen Übersetzung von TurgenjewsJägerskizzen ist aus dem oben erwähnten Brief Storms an Fontane vom September 1854 herauszulesen. Es heißt dort:Herr von Viedert läßt Sie erinnern, das ihm versprochene Exem­plar 54 für ihn zurückzuhalten. Sie müssen sich dafür von ihm den Tourguenieff geben lassen, von dessen .Tagebuch eines Jägers 1 wenigstens der lste Teil (durch meine Vermittlung) bei Schindler erscheinen wird. 5 5

Beide deutschen Dichter kannten also Turgenjews unter dem TitelAus dem Tagebuche eines Jägers gesammelten Skizzen schon vor ihrem Erscheinen in Buchform aus Viederts Übersetzungsmanuskript. Was aber Fontane anbelangt, so kam er entgegen seiner eigenen Äußerung in den Erinnerungen mitvor-Turgenjewschem nämlich Gogol und auch mit Werken Turgenjews durch August Viedert in Berührung M .

Der mit Turgenjew bekannte Freundeskreis Fontanes

Wie diese Darlegungen zeigen sollten, hat Fontane nicht nur 1841 / 42 ein lebhaftes Interesse an der russischen Literatur bekundet, sondern auch später so manches Mal Gelegenheit gehabt, sich auf diesem Gebiet weiterzubilden. Ein Blick in seinen ständigen Bekanntenkreis zeigt, daß mehrere seiner Freunde in direkten Beziehungen zu Iwan Turgenjew standen, der ja schließlich auch für Fontane der russische Dichter wer­den sollte. Theodor Storm, von dessen Verdiensten um dieAufzeich­nungen eines Jägers eben gesprochen wurde, machte 1865 Turgenjews Bekanntschaft in Baden-Baden; Paul Heyse, der 1854 /55 zwei Rezensi­onen über dieses Buch geschrieben hatte, lernte Turgenjew schon 1861 in München kennen. Storm und Heyse zählten neben dem Journalisten L. Pietsch, dem Herausgeber derDeutschen Rundschau Julius Roden-

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