Druckschrift 
Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
Seite
136
Einzelbild herunterladen

136 Gewerkschaftliche Interessenpolitik

strieländern in aller Regel nicht an nötigem Zubrot fehlt. Interessant ist dabei zu sehen, daß trotz industrieller Revolution und Wertewandels zum Postmaterialis­mus gerade in den Industrienationen eine wachsende Tendenz zum politischen Konservativismus zu beobachten ist. Die häufig gestellt bange Frage, was wird aus der für den Deutschen sprichwörtlichen Arbeitsmoral, wird eigentlich durch unsere Stellung am Weltmarkt, die nach wie vor unumstritten ist, von selbst be­antwortet, ja sie ist eigentlich absurd, wenn man die Exportquoten, den Techno­logietransfer und das know how der Deutschen betrachtet. Ganz offensichtlich sollen damit Ängste vor demVerfall traditionellen Arbeitsverhaltens geschürt werden.

Die konservative Antwort heißtLeistung soll sich wieder lohnen, die Eigenin­itiative wird propagiert nach dem Mottojeder ist seines Glückes eigener Schmied, Subsidiarität wird an die Stelle von Solidarität gesetzt.

Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit führt zu immer schärferen Ausleseprozes­sen und immer höheren Anforderungen für die in Arbeit Stehenden. Eine schi­zophrene und seit Jahren bestehende unhaltbare Situation kennzeichnet so unse­re Arbeitswelt. Während neun Zehntel der Arbeitnehmer sich aufreiben, enor­men Belastungen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, ist ein Zehntel vom Arbeits­prozeß ausgeschlossen und zum Nichtstun verurteilt. Vor diesem Hintergrund und den bei den Arbeitnehmern herrschenden Ängsten vor den neuen Technolo­gien, die wie ein unersättlicher Moloch ihre Arbeitsplätze aufzufressen drohen, muß man die Diskussion um den Wertewandel in der Arbeitswelt sehen. Dann schrumpft diese Diskussion auf ein philosophisches, sicher nicht zu leugnendes Randproblem. Sicher, Freizeit und Gesundheit sind hohe Güter, auf die nie­mand verzichten will, das aber ist nichts Neues.

Entscheidender, weil einschneidender, ist dagegen die sogenannte dritte indu­strielle Revolution. Und da trifft es sich gut, daß eine wichtige Grundkomponen­te des Postmaterialismus das Streben nach mehr Selbstbestimmung und Selbst­entfaltung ist. In der Erfüllung dieser Erwartungshaltung der Arbeitnehmer liegt die große Herausforderung und Aufgabe der Gewerkschaften, Unternehmer und Politiker. Weder die Verteufelung der neuen Technologien noch das Schü­ren von Ängsten sind probate Mittel, genauso wenig wie das verharmlosende Einlullen oder die Anwendung noch so ausgeklügelter Sozialtechniken zur För­derung einer bestimmten Technologieakzeptanz. Zu durchsichtig, weil vorder­gründig, sind die von konservativen Politikern und Unternehmern eingeleiteten Strategien zur Förderung der Technologieakzeptanz auf seiten der Arbeitneh­mer, an deren Ende nicht die soziale Gestaltung der neuen Technologien, son­dern das bessere Betriebsergebnis steht.