142 Gewerkschaftliche Interessenpolitik
IV Gewerkschaftsstruktur, Arbeitnehmerbewußtsein und Interessenvertretung
Trotz der hohen Arbeitslosigkeit ist es den Gewerkschaften bisher gelungen, Mitgliedereinbußen zu verhindern, aber es ist nicht zu leugnen, daß der Zuwachs von neuen Mitgliedern größer sein könnte. Noch widerstrebt es einigen Gewerkschaften, davon mit auszugehen, ihre Organisation als heterogen zusammengesetzte Interessengemeinschaft zu sehen. Veränderungen im Arbeitnehmerbewußtsein, die unterschiedlichen Interessen, die längeren und qualifizierteren Ausbildungen, das berechtigte Drängen nach Gleichstellung der Frauen, deren Anteil an den Arbeitnehmern immer größer wird, hoher technischer Sachverstand bei den Spezialisten der neuen Techniken, die gewandelten Wertvorstellungen, das verstärkte Umweltbewußtsein, dies alles fließt ein in gewerkschaftliches Handeln. Das ist ein hartes Stück Arbeit, weil zugleich manche liebgewordenen ausgetretenen Pfade verlassen werden müssen. Vor allem aber müssen die Gewerkschaften eine Bewegung der Hoffnung bleiben, in allen Politikbereichen. Sie haben Signale zu geben, die den Interessen ihrer Mitglieder und ihrer Familien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Belange entsprechen. Aus dieser Erkenntnis müssen für die Zukunft hinsichtlich der gewerkschaftlichen Selbstdarstellung, der Organisationsstrukturen, der Zielsetzungen und der Tarifpolitik entsprechende Konsequenzen gezogen werden.
Die Probleme dieser Welt und in unserem Lande lassen sich nicht mit Pessimismus lösen, genauso wenig wie mit unbekümmertem Optimismus. Pessimismus und Politikverdrossenheit sind weit verbreitet, auch deshalb müssen die Gewerkschaften Hoffnungsträger bleiben.
Die Menschen, so scheint es, haben das Vertrauen in die Politiker verloren. Sie haben Ängste und neigen so angesichts der Fülle von Problemen zur Resignation. Sie nehmen Anstoß an der ständigen Verteufelung des politischen Gegners, an der Radikalisierung und Rücksichtslosigkeit, mit der politische Ziele verfolgt werden. Sie wollen in Frieden arbeiten und leben können. Sie wollen auch keine Dauerkonfrontationen am Arbeitsplatz, im Betrieb, sie wollen vom Objekt zum Subjekt im Arbeitsleben werden und mitbestimmen können über ihr Schicksal als Arbeitnehmer; mitbestimmen am Arbeitsplatz und im Betrieb, wenn es um ihre Interesse, ihren Arbeitsplatz und ihr berufliches Fortkommen geht.
Aufgabe der Gewerkschaften ist es deshalb, nicht nur ihnen das Vertrauen in die Politik zurückzugeben, sondern sie auch bei ihren Bestrebungen um Selbstentfaltung und Selbstbestimmung zu unterstützen. Dazu bedarf es eines Politikverständnisses, das auf gegenseitiger Respektierung und Achtung ausgerichtet ist. Eine Politik, in der Gegnerschaft nicht mit Feindschaft verwechselt wird. Eine