Gewerkschaftliche Interessenpolitik 143
Politik mit Weitblick, die über den Tellerrand des tagespolitischen Geschehens hinausgeht.
Das Gesagte gilt natürlich nicht nur im Umgang mit Parteien und Politikern, sondern auch für die Tarifvertragsparteien.
1 Erfahrungen während und nach der Tarifrunde 1984
Die Entwicklung in der Bundesrepublik nach der Tarifrunde’84 hat erneut gezeigt, daß Arbeitszeitverkürzungen nicht den Ruin der deutschen Wirtschaft bedeuten, sondern daß sie in der Tat Arbeitsplätze schaffen und sichern helfen. Dieses Thema bedarf unbedingt einer Versachlichung; gegenseitige Schuldzuweisungen sind dabei wenig hilfreich.
Die Suche nach einem gemeinsamen Konsens— auch bei unterschiedlichen Interessenlagen— muß möglich sein. Interessenkonflikte sollten so ausgetragen werden, daß es nicht zu dauerhaften Beschädigungen kommt. Absolutheitsdenken ist nicht nur undemokratisch, sondern in unserer Zeit hochkomplizierter politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Abläufe und Zusammenhänge fehl am Platz. Verantwortungsbewußtes Miteinander muß dabei nicht im Gegensatz zu einer konsequenten gewerkschaftlichen Interessenvertretung stehen. Konfliktbewußtsein und Konsenssuche schließen einander nicht aus. Mehr denn je zuvor wird es darauf ankommen, das Gesamtinteresse bei allem im Auge zu behalten, die Grenzen zwischen dem Wünschbaren und dem Machbaren rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln. Zu viele bewußt herbeigeführte Konfrontationen hat es seit der Tarifrunde’84 gegeben. Die gezielten Provokationen gegen die Gewerkschaften, z. B. beim$ 116 AFG, oder die ständigen Androhungen eines Verbändegesetzes, der Verschlechterung des Betriebsverfassungsgesetzes zu Lasten der Gewerkschaften, oder die ständigen Diskussionen um das Tarifvertragsrecht und weitere Deregulierungen im Arbeitsrecht sind nicht dazu angetan, das soziale Klima erträglich zu halten, geschweige denn, es zu verbessern.
Im Gegenteil, sie haben ihm großen Schaden zugefügt. Dieser Schaden muß schnellstmöglich behoben werden, sonst kommt es zu dauerhaften Beschädigungen des sozialen Klimas. Dieses abzuwenden, liegt in der Macht der Arbeitgeber. Die Betonung muß wieder auf das„sozial“ unserer Marktwirtschaft gelegt werden und das Bekenntnis zur Tarifautonomie darf nicht nur ein verbales sein.
Aus der Tarifauseinandersetzung’84 und den Auseinandersetzungen um den $& 116 AFG sind die Gewerkschaften trotz des hohen Kräfteverschleißes gestärkt hervorgegangen; es hat sich gezeigt, daß sie sich nicht auseinander dividieren lassen. Das ist gut so; denn unsere Demokratie— auch das hat nicht nur die Vergangenheit gezeigt— braucht starke Gewerkschaften.