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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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146 Tarifpolitik im Wandel

meinschaft war sozialgeschichtlich bis dahin der in Art und Ausmaß einzige Ver­such einer freien Gestaltung der Arbeitsbedingungen ohne Einwirkung des Staa­tes. Der Tarifvertrag als sozialpolitisches Regelungsinstrument war aus der Taufe gehoben.

Gegen Ende der Weimarer Republik verdrängte die staatliche Zwangsschlich­tung mehr und mehr die freie Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern, und in der Zeit nach 1933 gab es dann weder eine freie Vereinbarung der Löhne und Ar­beitsbedingungen noch eine freie Gestaltung der Investitions- und Preisbedin­gungen durch die Unternehmer. An die Stelle von Tarifverträgen, getragen von freien Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, trat die staatliche Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und wirtschaftlicher Dirigismus.

Erst durch das Grundgesetz und das 1949 verkündeteTarifvertragsgesetz wur­de die Kompetenz der Tarifvertragsparteien zum Abschluß von Tarifverträgen wieder eingeführt. Damit war die Zuständigkeit der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften von staatlicher Interventionsmöglichkeit frei. Auch die Be­ziehungen der Spitzenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden hier­mit auf eine neue sachliche und politische Grundlage gestellt.

2 Tarifautonomie, ein Institut ohne Alternative

Im Rahmen der Tarifautonomie sind Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften nicht nur Träger umfassender sozialpolitischer Aufgaben geworden. Sie haben auch volkswirtschaftliche Funktionen von großer öffentlicher und politischer Tragweite übernommen. Ihnen wurde durch die Tarifautonomie ein hohes Maß an Freiheit auf einem für die Volksgesamtheit lebenswichtigen Gebiet einge­räumt. Mit dem Recht, die Lohn- und Arbeitsbedingungen ggf. unter Einsatz von Streik und Aussperrung auszuhandeln und tariflich festzulegen, ist den Ta­rifpartnern eine maßgebliche Entscheidung über die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft, die Stabilität der Währung und damit auch über den Bestand der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung anvertraut. Diese Bedeutung und Trag­weite des Verhaltens der Tarifpartner im Rahmen der ihnen anvertrauten Frei­heit verlangt das Bewußtsein der notwendigen Rücksichtnahme auf das Gesamt­interesse. Die Tarifpartner entscheiden selbst über Wert und Unwert der Tarif­autonomie. Sie haben die Chance, ihre Befugnisse gesamtwohlverträglich auszu­nutzen und Nachteile für die Allgemeinheit zu vermeiden oder sie wenigstens zu minimieren. Zu diesen das Gemeinwohl berührenden Faktoren gehören auch die Berücksichtigung der Belange der Arbeitssuchenden und, soweit die Politik der Bundesbank dies zuläßt, die Einbeziehung der Geldwertstabilität.

Auch wenn das Prinzip der Tarifautonomie in der Vergangenheit häufiger Kritik ausgesetzt war, insbesondere dann, wenn wie im Jahre 1984 länger dauernde Streiks große volkswirtschaftliche Schäden verursachten und gelegentlich der