146 Tarifpolitik im Wandel
meinschaft war sozialgeschichtlich bis dahin der in Art und Ausmaß einzige Versuch einer freien Gestaltung der Arbeitsbedingungen ohne Einwirkung des Staates. Der Tarifvertrag als sozialpolitisches Regelungsinstrument war aus der Taufe gehoben.
Gegen Ende der Weimarer Republik verdrängte die staatliche Zwangsschlichtung mehr und mehr die freie Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern, und in der Zeit nach 1933 gab es dann weder eine freie Vereinbarung der Löhne und Arbeitsbedingungen noch eine freie Gestaltung der Investitions- und Preisbedingungen durch die Unternehmer. An die Stelle von Tarifverträgen, getragen von freien Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, trat die staatliche Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und wirtschaftlicher Dirigismus.
Erst durch das Grundgesetz und das 1949 verkündete„Tarifvertragsgesetz“ wurde die Kompetenz der Tarifvertragsparteien zum Abschluß von Tarifverträgen wieder eingeführt. Damit war die Zuständigkeit der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften von staatlicher Interventionsmöglichkeit frei. Auch die Beziehungen der Spitzenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden hiermit auf eine neue sachliche und politische Grundlage gestellt.
2 Tarifautonomie, ein Institut ohne Alternative
Im Rahmen der Tarifautonomie sind Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften nicht nur Träger umfassender sozialpolitischer Aufgaben geworden. Sie haben auch volkswirtschaftliche Funktionen von großer öffentlicher und politischer Tragweite übernommen. Ihnen wurde durch die Tarifautonomie ein hohes Maß an Freiheit auf einem für die Volksgesamtheit lebenswichtigen Gebiet eingeräumt. Mit dem Recht, die Lohn- und Arbeitsbedingungen ggf. unter Einsatz von Streik und Aussperrung auszuhandeln und tariflich festzulegen, ist den Tarifpartnern eine maßgebliche Entscheidung über die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft, die Stabilität der Währung und damit auch über den Bestand der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung anvertraut. Diese Bedeutung und Tragweite des Verhaltens der Tarifpartner im Rahmen der ihnen anvertrauten Freiheit verlangt das Bewußtsein der notwendigen Rücksichtnahme auf das Gesamtinteresse. Die Tarifpartner entscheiden selbst über Wert und Unwert der Tarifautonomie. Sie haben die Chance, ihre Befugnisse gesamtwohlverträglich auszunutzen und Nachteile für die Allgemeinheit zu vermeiden oder sie wenigstens zu minimieren. Zu diesen das Gemeinwohl berührenden Faktoren gehören auch die Berücksichtigung der Belange der Arbeitssuchenden und, soweit die Politik der Bundesbank dies zuläßt, die Einbeziehung der Geldwertstabilität.
Auch wenn das Prinzip der Tarifautonomie in der Vergangenheit häufiger Kritik ausgesetzt war, insbesondere dann, wenn wie im Jahre 1984 länger dauernde Streiks große volkswirtschaftliche Schäden verursachten und gelegentlich der