Tarifpolitik im Wandel 147
Vorwurf eines Tarifkartells zu Lasten der Allgemeinheit laut wurde, so herrschte in der Bundesrepublik doch immer weitgehend Übereinstimmung darüber, daß die in Deutschland praktizierte Form der Tarifpartnerschaft mit einem hohen Ausmaß an sozialem Frieden ein Grundelement sozialer und gesellschaftlicher Stabilität darstellt. Die harten Arbeitskämpfe des Jahres 1984 in der Metall- und Druckindustrie stehen dieser Feststellung nicht entgegen. Auch wenn sie die Tarifautonomie und die sozialpartnerschaftlichen Beziehungen einer harten Belastungsprobe ausgesetzt haben, darf nicht übersehen werden, daß am Ende dieser Auseinandersetzungen eine tarifpolitische Lösung stand.
3 Gleichgewicht der Kräfte
Wer die Tarifautonomie als Grundbedingung für die soziale Stabilität erhalten wissen will, der muß— wie dies die Arbeitgeberverbände stets getan haben— für ihre Funktionsfähigkeit eintreten. Die soziale Befriedungs- und Ausgleichsfunktion kann die Tarifautonomie nur dann erfüllen, wenn die Einigung von Tarifvertragspartnern sich als das Ergebnis einer gleichwertigen Auseinandersetzung darstellen. Eine funktionsfähige Tarifautonomie ist ohne Gleichgewicht der Tarifparteien undenkbar. Dieses Gleichgewicht wurde jedoch in den vergangenen Jahren zu Lasten der Arbeitgeberseite verschoben.
Die Verwerfungen sind nicht nur die Folge neuer Arbeitskampfstrategien auf Gewerkschaftsseite, wie sie in der„neuen Beweglichkeit“ ihren besonderen Ausdruck gefunden haben. Sie sind auch das Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus den vergangenen Jahren. Die Arbeitskampfrechtsprechung hat sich in kleineren und größeren Schritten von der ursprünglichen Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts entfernt, die vom Prinzip der Kampfparität und der Sozialadäquanz der Arbeitskampfmittel geprägt war. Seit den 70er Jahren ist eine Ausdehnung der Streikfreiheit für die Gewerkschaften zu verzeichnen, während die Kampffreiheit für die Arbeitgeberverbände immer stärker eingeschränkt wurde. Die Einführung der„Quotenregelung“ durch die Aussperrungsteile des Jahres 1980 und die darin zum Ausdruck kommende Zahlenarithmetik, die es der Arbeitgeberseite erheblich erschwert, auf Streiks durch Aussperrung angemessen zu antworten, war dabei nur ein Element.
Verstärkt wird diese Entwicklung auch durch die Warnstreikentscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1984, welche die neue Beweglichkeit für zulässig erklärte und darüber hinaus den Arbeitgeberverbänden sogar ohne sachlich gerechtfertigten Grund das Klagerecht abgesprochen hat. Dieses Ungleichgewicht war auch der eigentliche Kern der Diskussion um die Reformierung des$ 116 AFG. Bis zu der Novellierung dieser Vorschrift im Jahre 1986 bot sie den Gewerkschaften die Grundlage, Schwerpunktstreiks zu einem großen