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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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Tarifpolitik im Wandel 147

Vorwurf eines Tarifkartells zu Lasten der Allgemeinheit laut wurde, so herrschte in der Bundesrepublik doch immer weitgehend Übereinstimmung darüber, daß die in Deutschland praktizierte Form der Tarifpartnerschaft mit einem hohen Ausmaß an sozialem Frieden ein Grundelement sozialer und gesellschaftlicher Stabilität darstellt. Die harten Arbeitskämpfe des Jahres 1984 in der Metall- und Druckindustrie stehen dieser Feststellung nicht entgegen. Auch wenn sie die Ta­rifautonomie und die sozialpartnerschaftlichen Beziehungen einer harten Bela­stungsprobe ausgesetzt haben, darf nicht übersehen werden, daß am Ende dieser Auseinandersetzungen eine tarifpolitische Lösung stand.

3 Gleichgewicht der Kräfte

Wer die Tarifautonomie als Grundbedingung für die soziale Stabilität erhalten wissen will, der muß wie dies die Arbeitgeberverbände stets getan haben für ihre Funktionsfähigkeit eintreten. Die soziale Befriedungs- und Ausgleichs­funktion kann die Tarifautonomie nur dann erfüllen, wenn die Einigung von Ta­rifvertragspartnern sich als das Ergebnis einer gleichwertigen Auseinanderset­zung darstellen. Eine funktionsfähige Tarifautonomie ist ohne Gleichgewicht der Tarifparteien undenkbar. Dieses Gleichgewicht wurde jedoch in den vergan­genen Jahren zu Lasten der Arbeitgeberseite verschoben.

Die Verwerfungen sind nicht nur die Folge neuer Arbeitskampfstrategien auf Gewerkschaftsseite, wie sie in derneuen Beweglichkeit ihren besonderen Aus­druck gefunden haben. Sie sind auch das Ergebnis der Rechtsprechung des Bun­desarbeitsgerichts aus den vergangenen Jahren. Die Arbeitskampfrechtspre­chung hat sich in kleineren und größeren Schritten von der ursprünglichen Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts entfernt, die vom Prinzip der Kampfparität und der Sozialadäquanz der Arbeitskampfmittel ge­prägt war. Seit den 70er Jahren ist eine Ausdehnung der Streikfreiheit für die Gewerkschaften zu verzeichnen, während die Kampffreiheit für die Arbeitgeber­verbände immer stärker eingeschränkt wurde. Die Einführung derQuotenrege­lung durch die Aussperrungsteile des Jahres 1980 und die darin zum Ausdruck kommende Zahlenarithmetik, die es der Arbeitgeberseite erheblich erschwert, auf Streiks durch Aussperrung angemessen zu antworten, war dabei nur ein Ele­ment.

Verstärkt wird diese Entwicklung auch durch die Warnstreikentscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1984, welche die neue Beweglichkeit für zulässig erklärte und darüber hinaus den Arbeitgeberverbänden sogar ohne sachlich gerechtfertigten Grund das Klagerecht abgesprochen hat. Dieses Un­gleichgewicht war auch der eigentliche Kern der Diskussion um die Reformie­rung des$ 116 AFG. Bis zu der Novellierung dieser Vorschrift im Jahre 1986 bot sie den Gewerkschaften die Grundlage, Schwerpunktstreiks zu einem großen