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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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Tarifpolitik im Wandel 151

derungs- und Leistungsunterschiede Rücksicht genommen werden muß. Diesem Erfordernis kann am ehesten durch eine Lohn- und Tarifpolitik entsprochen werden, die wieder stärker der Situation Rechnung trägt, daß die in den Tarif­verträgen festgelegten Arbeitsbedingungen an sich Mindestarbeitsbedingungen sind, die für alle Betriebe noch akzeptabel sein sollen. Früher hatten sich die Ta­rifparteien auch darauf beschränkt, nur die wesentlichen Mindestarbeitsbedin­gungen in einem Grobraster festzulegen, wobei man sich vielfach an den lang­samsten Schiffen des tarifvertraglichen Geleitzuges orientierte. Demgemäß wa­ren diese tarifvertraglichen Bedingungen noch Mindestarbeitsbedingungen, die Ohne praktische Schwierigkeiten Maßstäbe für Klein-, Mittel- und Großbetriebe unterschiedlicher Sektoren- und Regionalverhältnisse zu setzen vermochten. Darüber baute sich ein breiterer Bereich der übertariflichen Arbeitsbedingungen auf. Dazu gehörten noch die vielfältigen betrieblichen Sozialleistungen in unter­schiedlichen Variationen. Tarifvertragliche Normensetzung und betriebliche Modifikationsmöglichkeiten befanden sich insoweit in einem ausgewogenen Verhältnis.

Diese relativ große Bandbreite der Arbeitsbedingungen von Betrieb zu Betrieb entfachte innerhalb der Gewerkschaften schon Mitte der 50er Jahre die Diskus­sion um einebetriebsnahe Tarifpolitik. Sie sollte die tarifvertraglichen Mög­lichkeiten mit unterschiedlichen Regelungen von Betrieb zu Betrieb ausschöp­fen. Ihrem Auftrag alsIndustriegewerkschaften entsprechend entschied sich damals jedoch die Mehrzahl der großen Gewerkschaften für den großräumigen Verbandstarifvertrag. Der flächendeckende Tarifvertrag sollte möglichst alle be­trieblich gewachsenen Arbeitsbedingungen kumulativ aufnehmen und für alle Betriebe eines Wirtschaftsbereiches verbindlich machen. Die übertarifliche Lohnspanne sollte damit nur noch so gering wie möglich gehalten werden. Die­sen Weg sind die Arbeitgeberverbände wenn auch oft erst nach erheblichem Widerstand mitgegangen, zumal Hochkonjunkturphasen und Vollbeschäfti­gung diesen Schritt und damit überhöhte Lohnzugeständnisse erleichterten. Sta­gnation, Rezession und eine veränderte Arbeitsmarktsituation zwangen zu einer kritischen Bestandsaufnahme.

3 Mehr Differenzierung in der Tarifpolitik

Die Tarifpolitik muß wieder ein verhaltenes Tariftempo ansteuern, daß sich prinzipiell an der Leistungsfähigkeit aller Betriebe des jeweiligen Wirtschaftsbe­reiches orientiert, für den die Tarifverträge gelten. Der mögliche Verteilungs­spielraum muß sich vorrangig auf den Lohn konzentrieren. Die Lohnzusatzko­sten sind zu begrenzen. Hierbei ist auch der Staat angesprochen, nachdem die gesetzlich verordnete Abgabenlast überproportional gewachsen ist. Entgegen dem ersten Anschein hat es mehr oder weniger große Differenzierungen der Ar­beitsbedingungen im tarifvertraglichen und übertariflichen Raum, nach sektora­