Tarifpolitik im Wandel 151
derungs- und Leistungsunterschiede Rücksicht genommen werden muß. Diesem Erfordernis kann am ehesten durch eine Lohn- und Tarifpolitik entsprochen werden, die wieder stärker der Situation Rechnung trägt, daß die in den Tarifverträgen festgelegten Arbeitsbedingungen an sich Mindestarbeitsbedingungen sind, die für alle Betriebe noch akzeptabel sein sollen. Früher hatten sich die Tarifparteien auch darauf beschränkt, nur die wesentlichen Mindestarbeitsbedingungen in einem Grobraster festzulegen, wobei man sich vielfach an den langsamsten Schiffen des tarifvertraglichen Geleitzuges orientierte. Demgemäß waren diese tarifvertraglichen Bedingungen noch Mindestarbeitsbedingungen, die Ohne praktische Schwierigkeiten Maßstäbe für Klein-, Mittel- und Großbetriebe unterschiedlicher Sektoren- und Regionalverhältnisse zu setzen vermochten. Darüber baute sich ein breiterer Bereich der übertariflichen Arbeitsbedingungen auf. Dazu gehörten noch die vielfältigen betrieblichen Sozialleistungen in unterschiedlichen Variationen. Tarifvertragliche Normensetzung und betriebliche Modifikationsmöglichkeiten befanden sich insoweit in einem ausgewogenen Verhältnis.
Diese relativ große Bandbreite der Arbeitsbedingungen von Betrieb zu Betrieb entfachte innerhalb der Gewerkschaften schon Mitte der 50er Jahre die Diskussion um eine„betriebsnahe Tarifpolitik“. Sie sollte die tarifvertraglichen Möglichkeiten mit unterschiedlichen Regelungen von Betrieb zu Betrieb ausschöpfen. Ihrem Auftrag als„Industriegewerkschaften“ entsprechend entschied sich damals jedoch die Mehrzahl der großen Gewerkschaften für den großräumigen Verbandstarifvertrag. Der flächendeckende Tarifvertrag sollte möglichst alle betrieblich gewachsenen Arbeitsbedingungen kumulativ aufnehmen und für alle Betriebe eines Wirtschaftsbereiches verbindlich machen. Die übertarifliche Lohnspanne sollte damit nur noch so gering wie möglich gehalten werden. Diesen Weg sind die Arbeitgeberverbände— wenn auch oft erst nach erheblichem Widerstand— mitgegangen, zumal Hochkonjunkturphasen und Vollbeschäftigung diesen Schritt und damit überhöhte Lohnzugeständnisse erleichterten. Stagnation, Rezession und eine veränderte Arbeitsmarktsituation zwangen zu einer kritischen Bestandsaufnahme.
3 Mehr Differenzierung in der Tarifpolitik
Die Tarifpolitik muß wieder ein verhaltenes Tariftempo ansteuern, daß sich prinzipiell an der Leistungsfähigkeit aller Betriebe des jeweiligen Wirtschaftsbereiches orientiert, für den die Tarifverträge gelten. Der mögliche Verteilungsspielraum muß sich vorrangig auf den Lohn konzentrieren. Die Lohnzusatzkosten sind zu begrenzen. Hierbei ist auch der Staat angesprochen, nachdem die gesetzlich verordnete Abgabenlast überproportional gewachsen ist. Entgegen dem ersten Anschein hat es mehr oder weniger große Differenzierungen der Arbeitsbedingungen im tarifvertraglichen und übertariflichen Raum, nach sektora