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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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Tarifpolitik im Wandel 153

Notwendigkeiten für Eingriffe in unser derzeitliches Tarifvertragssystem gibt es damit nicht. Akute Probleme lassen sich nach wie vor auf dem Boden unserer Tarifautonomie mit herkömmlichen Mitteln lösen. Dazu ist jedoch keine neue generelle Reformierung des Tarifvertragssystems nötig. Es müssen lediglich eini­ge wesentliche Elemente und Möglichkeiten überdacht, aktiviert bzw. neugestal­tet werden. Anzustreben bleibt insgesamt eine Entwicklung, die die Ordnungs­funktion des tarifvertraglichen Rahmens mit der wünschenswerten betriebsindi­viduellen Gestaltungsfreiheit optimal verbindet.

IV Arbeitszeit und Tarifpolitik

1 Die Arbeitszeitpolitik an der Wendemarke

Für die Gewerkschaften bleibt nach dem Lohn die Dauer der Arbeitszeit das wichtigste tarifpolitische Thema. Das der Volkswirtschaft zur Verfügung stehen­de Arbeitsvolumen ließ sich im Verlauf der Jahrzehnte unter Ausnutzung ratio­nellerer Arbeitsabläufe und verbesserter Arbeitsorganisationen auch bei kürzer werdenden tarifvertraglichen Arbeitszeiten erreichen. Nunmehr werden kosten­mäßige und praktische Grenzen sichtbar.

Hauptproblem auf dem Weg zu kürzeren Arbeitszeiten waren stets die hierbei zu verkraftenden erhöhten Arbeitskosten sowie der Ausfall von Arbeitskapazitäten bei bestimmten Arbeitnehmergruppen. Kürzere Wochenarbeitszeit, längerer Ur­laub und verkürzte Lebensarbeitszeit sind der Form nach zwar unterschiedlich, in der Auswirkung aber weitgehend gleichgewichtig.

Die jüngsten Auseinandersetzungen um die Verkürzungen der tarifvertraglichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden haben deutlich gemacht, daß in der Arbeits­zeitfrage jetzt und noch mehr in der Zukunft neue Wege beschritten werden müssen und neuartige Formen von tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen un­terläßlich sind, wenn wir die volkswirtschaftlichen Zielsetzungen angemesse­nes Wachstum, ausreichende Beschäftigung und Preisstabilität nicht vernach­lässigen wollen. Es geht darum, die durch neue Tarifvertragsentwicklung sich er­höhenden Arbeitskosten aufzufangen und erträglich zu machen. Es müssen hochwertige und hochtechnisierte Arbeitsmittel, die die Kapitalkosten erhöhen, länger genutzt werden können, wenn die Kapitalkostenanteile am Produkt nur nicht steigen sollen, sondern im Interesse der Produktivität und Wettbewerbsfä­higkeit gesenkt werden müssen. Das wiederum spricht zwingend für längere Be­triebszeiten. Betriebs- und Arbeitszeiten werden immer öfter auseinanderfallen. Der Gedanke der flexiblen Arbeitszeit als neue tarifpolitische Entwicklung fin­det hierin seine Begründung.