Tarifpolitik im Wandel 153
Notwendigkeiten für Eingriffe in unser derzeitliches Tarifvertragssystem gibt es damit nicht. Akute Probleme lassen sich nach wie vor auf dem Boden unserer Tarifautonomie mit herkömmlichen Mitteln lösen. Dazu ist jedoch keine neue generelle Reformierung des Tarifvertragssystems nötig. Es müssen lediglich einige wesentliche Elemente und Möglichkeiten überdacht, aktiviert bzw. neugestaltet werden. Anzustreben bleibt insgesamt eine Entwicklung, die die Ordnungsfunktion des tarifvertraglichen Rahmens mit der wünschenswerten betriebsindividuellen Gestaltungsfreiheit optimal verbindet.
IV Arbeitszeit und Tarifpolitik
1 Die Arbeitszeitpolitik an der Wendemarke
Für die Gewerkschaften bleibt nach dem Lohn die Dauer der Arbeitszeit das wichtigste tarifpolitische Thema. Das der Volkswirtschaft zur Verfügung stehende Arbeitsvolumen ließ sich im Verlauf der Jahrzehnte unter Ausnutzung rationellerer Arbeitsabläufe und verbesserter Arbeitsorganisationen auch bei kürzer werdenden tarifvertraglichen Arbeitszeiten erreichen. Nunmehr werden kostenmäßige und praktische Grenzen sichtbar.
Hauptproblem auf dem Weg zu kürzeren Arbeitszeiten waren stets die hierbei zu verkraftenden erhöhten Arbeitskosten sowie der Ausfall von Arbeitskapazitäten bei bestimmten Arbeitnehmergruppen. Kürzere Wochenarbeitszeit, längerer Urlaub und verkürzte Lebensarbeitszeit sind der Form nach zwar unterschiedlich, in der Auswirkung aber weitgehend gleichgewichtig.
Die jüngsten Auseinandersetzungen um die Verkürzungen der tarifvertraglichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden haben deutlich gemacht, daß in der Arbeitszeitfrage jetzt und noch mehr in der Zukunft neue Wege beschritten werden müssen und neuartige Formen von tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen unterläßlich sind, wenn wir die volkswirtschaftlichen Zielsetzungen— angemessenes Wachstum, ausreichende Beschäftigung und Preisstabilität— nicht vernachlässigen wollen. Es geht darum, die durch neue Tarifvertragsentwicklung sich erhöhenden Arbeitskosten aufzufangen und erträglich zu machen. Es müssen hochwertige und hochtechnisierte Arbeitsmittel, die die Kapitalkosten erhöhen, länger genutzt werden können, wenn die Kapitalkostenanteile am Produkt nur nicht steigen sollen, sondern im Interesse der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit gesenkt werden müssen. Das wiederum spricht zwingend für längere Betriebszeiten. Betriebs- und Arbeitszeiten werden immer öfter auseinanderfallen. Der Gedanke der flexiblen Arbeitszeit als neue tarifpolitische Entwicklung findet hierin seine Begründung.