162 Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes
letzt ist. In der Grundrechtsdogmatik ist heute anerkannt, daß die Grundrechtsnormen auch vor faktischen Eingriffen durch Unterlassen schützen können’.
Es ist deshalb zu prüfen, ob die Zahlungen des Arbeitgebers an arbeitswillige Arbeitnehmer die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsbetätigung der Streikenden faktisch beeinträchtigen. Die Kläger rügen ausdrücklich ein Unterlassen des Arbeitgebers, nämlich die nicht auch an sie erfolgten Zahlungen und damit einen Grundrechtseingriff„durch Unterlassen“. Ursprünglich vertrat der Bundesgerichtshof die Auffassung, daß Grundrechtseingriffe„durch Unterlassen“ nicht möglich seien®.
Später unterschied der Bundesgerichtshof zwischen reiner„Untätigkeit“ und grundrechtswidrigem„qualifiziertem Unterlassen“. Letzteres liege vor, wenn es sich„wie ein in den Rechtskreis des Betroffenen eingreifendes Handeln“ darstelle?,
Selbst wenn man— entgegen dem Bundesgerichtshof— die Parallele zu Grundrechtseingriffen durch Unterlassen heranzieht, so hilft sie nicht weiter. Bei Geltendmachung von Ansprüchen aus Verletzung des Gleichheitssatzes im öffentlichen Recht bzw. des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Arbeitsrecht läßt sich nämlich gerade nicht argumentieren, hier würden„Abwehransprüche“ gegen ein Unterlassen geltend gemacht!®°,
Vielmehr wird die Sachgemäßheit einer Differenzierung in Zweifel gezogen, deren Folge das Unterbleiben einer Leistung ist. Wenn von den Klägern Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG ins Spiel gebracht wird, so hat das den Sinn, das Differenzierungskriterium„tatsächliche Arbeit“ bzw.„Mehrbelastung“ vor dieser Norm erneut zu prüfen, um die Unbeachtlichkeit der im Lichte des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes sachgemäß erscheinenden Differenzierung im Lichte dieser speziellen Wertung zu erreichen,'! und damit ein Abstellen auf dieses konkrete Differenzierungskriterium zu unterbinden!?,
Es ist allerdings äußerst fraglich, ob Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG in diesem Sinne hier anwendbar ist. Das hier in Rede stehende„Ungleichheitskriterium“ der (Nicht-)Arbeit bzw. der Mehrbelastung wird nämlich durch die Wertung des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nicht unbeachtlich. Das Differenzierungsverbot zu Lasten Streikender, das Art. 9 Abs. 3 GG enthält, verwehrt dem Arbeitgeber nicht, aus sachlichen Gründen zu differenzieren, wie sich schon am Beispiel der unstreitig zulässigen Beschränkung der Lohnzahlung auf nicht streikende Arbeitnehmer zeigen läßt. Eine aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG abgeleitete Verpflichtung zur Lohnzahlung auch an Streikende würde zudem den Grundsatz der Kampfparität zur Farce machen. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG gebietet nicht, streikende Arbeitnehmer so zu stellen, als hätten sie gearbeitet. Die Verteilung des Lohnrisikos nach Maßgabe der$8 275ff., 323 ff. BGB verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3