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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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162 Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes

letzt ist. In der Grundrechtsdogmatik ist heute anerkannt, daß die Grundrechts­normen auch vor faktischen Eingriffen durch Unterlassen schützen können.

Es ist deshalb zu prüfen, ob die Zahlungen des Arbeitgebers an arbeitswillige Ar­beitnehmer die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsbetätigung der Strei­kenden faktisch beeinträchtigen. Die Kläger rügen ausdrücklich ein Unterlassen des Arbeitgebers, nämlich die nicht auch an sie erfolgten Zahlungen und damit einen Grundrechtseingriffdurch Unterlassen. Ursprünglich vertrat der Bun­desgerichtshof die Auffassung, daß Grundrechtseingriffedurch Unterlassen nicht möglich seien®.

Später unterschied der Bundesgerichtshof zwischen reinerUntätigkeit und grundrechtswidrigemqualifiziertem Unterlassen. Letzteres liege vor, wenn es sichwie ein in den Rechtskreis des Betroffenen eingreifendes Handeln darstel­le?,

Selbst wenn man entgegen dem Bundesgerichtshof die Parallele zu Grund­rechtseingriffen durch Unterlassen heranzieht, so hilft sie nicht weiter. Bei Gel­tendmachung von Ansprüchen aus Verletzung des Gleichheitssatzes im öffent­lichen Recht bzw. des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Arbeitsrecht läßt sich nämlich gerade nicht argumentieren, hier würdenAbwehransprüche gegen ein Unterlassen geltend gemacht!®°,

Vielmehr wird die Sachgemäßheit einer Differenzierung in Zweifel gezogen, de­ren Folge das Unterbleiben einer Leistung ist. Wenn von den Klägern Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG ins Spiel gebracht wird, so hat das den Sinn, das Differenzie­rungskriteriumtatsächliche Arbeit bzw.Mehrbelastung vor dieser Norm er­neut zu prüfen, um die Unbeachtlichkeit der im Lichte des allgemeinen Gleich­behandlungsgrundsatzes sachgemäß erscheinenden Differenzierung im Lichte dieser speziellen Wertung zu erreichen,'! und damit ein Abstellen auf dieses kon­krete Differenzierungskriterium zu unterbinden!?,

Es ist allerdings äußerst fraglich, ob Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG in diesem Sinne hier anwendbar ist. Das hier in Rede stehendeUngleichheitskriterium der (Nicht-)Arbeit bzw. der Mehrbelastung wird nämlich durch die Wertung des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nicht unbeachtlich. Das Differenzierungsverbot zu La­sten Streikender, das Art. 9 Abs. 3 GG enthält, verwehrt dem Arbeitgeber nicht, aus sachlichen Gründen zu differenzieren, wie sich schon am Beispiel der un­streitig zulässigen Beschränkung der Lohnzahlung auf nicht streikende Arbeit­nehmer zeigen läßt. Eine aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG abgeleitete Verpflichtung zur Lohnzahlung auch an Streikende würde zudem den Grundsatz der Kampfpa­rität zur Farce machen. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG gebietet nicht, streikende Ar­beitnehmer so zu stellen, als hätten sie gearbeitet. Die Verteilung des Lohnrisi­kos nach Maßgabe der$8 275ff., 323 ff. BGB verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3