Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes 163
GG. Art. 9 Abs. 3 GG will nur verhindern, daß der Arbeitgeber die Tatsache, daß ein Streik Ursache von Fehlzeiten gewesen ist, über die Verweigerung der Lohnzahlung hinaus zum Anlaß von Sanktionen nimmt. Würde ein Arbeitgeber z.B. Fehlzeiten, welcher Art auch immer, nicht anspruchsmindernd berücksichtigen, so dürfte er für streikbedingte Nichtarbeit keine Ausnahme machen. Ein methodischer Parallelfall liegt vor beim Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG bezüglich der Differenzierung zwischen Männern und Frauen. Trotz des Gleichberechtigungsgebots sind solche sachlichen Gründe für eine Differenzierung ausreichend, die an geschlechtsspezifische Unterschiede anknüpfen, wie sie sich etwa im Frauenarbeitsrecht niederschlagen!?.
In diesem Sinne wird das Ungleichheitskriterium der(Nicht-)Arbeit durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht„neutralisiert“. Die Tatsache, daß die Streikenden diese Arbeit nicht verrichtet haben, kann nicht dazu führen, ihnen eine Prämie zusätzlich zu verschaffen, die für den Arbeitgeber nur notwendig geworden war, weil sie gerade nicht mitgearbeitet haben. Eine solche Konsequenz wäre widersinnig. Ein Eingriff in die individuelle Koalitionsfreiheit der Kläger, aber auch in die Koalitionsfreiheit ihrer Gewerkschaft liegt damit nicht vor. Die Streikenden werden durch die Prämienzahlung nicht zielgerichtet benachteiligt, da der Arbeitgeber durch die Differenzierung keine„Streikbruchprämie“ ausgesetzt hatte. Nach den obigen Ausführungen kann von einer solchen„Streikbruchprämie“ keine Rede sein. Insoweit geht der Vorwurf der Kläger, in Wahrheit sei nur die Arbeitsaufnahme prämiert worden, ins Leere und kann die Rechtswidrigkeit der Prämienzahlung— auch unter Berufung auf Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG— nicht begründen.
2.2 Mittelbarer, faktischer Eingriff durch die Höhe der Prämie?
Mit den unter a) getroffenen Feststellungen ist ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG noch nicht schlechthin ausgeschlossen. Auch wenn eine tatsächlich vorliegende physische und/oder psychische Mehrbelastung zusätzlich vergütet worden ist, könnten wegen der Höhe der Zulage Bedenken bestehen. Von der Gewährung solcher Zulagen kann eine gewisse„Motivation“ ausgehen, die Arbeit aufzunehmen, d.h. aus der Streikfront„auszubrechen“. Dabei ist die Motivationskraft um so größer, je großzügiger die Mehrbelastung abgegolten wird. Wird ein zur Aufrechterhaltung der Produktion erforderliches, bestimmtes Maß überschritten, besteht der Verdacht, daß ein Anreiz zum „Streikbruch“ gegeben werden soll. In diesem Fall würde versucht, die koalitionsgemäße Betätigung der Streikenden zu behindern. Das Arbeitsgericht hat einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG und damit auch in das Streikrecht der Kläger mit der Begründung verneint, das Problem liege in solchen Fällen allein in der(schlechten) Streikmoral der Gewerkschaftsmitglieder.
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