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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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164 Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes

Auch wenn das richtig wäre, so ist damit die Tatsache, daß vom Arbeitgeber durch extrem hohe zusätzliche Lohnanreize die(weitere) Teilnahme am Streik zu einem finanziell übermäßigen Opfer werden kann, nicht von vornherein der Subsumtion unter Art. 9 Abs. 3 GG entzogen. Vielmehr ist es ein Indiz, daß die­ser Druck sogarwirkt, d.h. Entscheidungen zur Aufgabe des Streiks und zur Arbeitsaufnahme beeinflussen, wenn nicht herbeiführen kann.

Das Argument enthält im Kern allerdings eine richtige Wertung: Es soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, daß es Sache der Gewerkschaften ist, durch entsprechende eigeneMotivation solchen Versuchen der Arbeitgeber entge­genzutreten und die Streikendenbei der Stange zu halten.

Wir haben hier eine Situation vor uns, daß eine an sich rechtmäßige Maßnahme faktisch in ein Grundrecht eingreifen kann. Das verkennen die Vorinstanzen, wenn sie davon ausgehen, der Arbeitgeber müsse sich mitzulässigen Maßnah­men wehren dürfen. Vielmehr ist in der Grundrechtsdogmatik anerkannt, daß rechtmäßige Maßnahmenfaktische Nebenwirkungen haben können, die der Verletzte nicht in jedem Ausmaß hinzunehmen hat. Wegen dieser Auswirkungen kann dann die Maßnahme insgesamt rechtswidrig sein. Zu denken ist hier insbe­sondere an die Fälle des vom Bundesgerichtshof entwickeltenenteignenden Eingriffs in das Eigentumsrecht im Sinne von Art. 14 GG!*,

Auch zu Art. 9 Abs. 3 GG ist anerkannt, daß der Arbeitnehmer auch vor sol­chen faktischen Eingriffen geschützt werden soll,'$ was das Grundgesetz durch die Formulierungbeeinträchtigen im Gegensatz zubehindern suchen zum Ausdruck bringt!®.

Insofern können sich Arbeitgebermaßnahmen indirekt(vermittelt) auf das Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers auswirken. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG will gerade eine Schlechterstellung aus Anlaß des Streiks durchSanktionen des Arbeitgebers unterbinden!.

So kann einean sich rechtmäßige Straßenbaumaßnahme einen rechtswidrigen faktischen Eingriff in das Eigentumsrecht eines Anliegers darstellen, wenn die Straßenbauarbeiten verzögert werden und damit dieOpfergrenze überschrit­ten wird. Ähnlich könnte der Fall auch hier liegen. Diean sich zulässige Maß­nahme des Arbeitgebers könnte faktisch in das Streikrecht der Arbeitnehmer eingreifen. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG will den Arbeitnehmer vor Sanktionen des Arbeitgebers schützen. Von der Vergütung der Mehrbelastung vermag als Ne­benfolge u. U. ein Anreiz auf die Streikenden auszugehen, die Arbeit wegen die­serlukrativen Seite der Streikarbeit aufzunehmen. Zu fragen ist, ob die Maß­nahme des Arbeitgebers wegen dieser Nebenwirkung im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG rechtswidrig geworden sein kann. Man könnte meinen, daß