164 Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes
Auch wenn das richtig wäre, so ist damit die Tatsache, daß vom Arbeitgeber durch extrem hohe zusätzliche Lohnanreize die(weitere) Teilnahme am Streik zu einem finanziell übermäßigen Opfer werden kann, nicht von vornherein der Subsumtion unter Art. 9 Abs. 3 GG entzogen. Vielmehr ist es ein Indiz, daß dieser Druck sogar„wirkt“, d.h. Entscheidungen zur Aufgabe des Streiks und zur Arbeitsaufnahme beeinflussen, wenn nicht herbeiführen kann.
Das Argument enthält im Kern allerdings eine richtige Wertung: Es soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, daß es Sache der Gewerkschaften ist, durch entsprechende eigene„Motivation“ solchen Versuchen der Arbeitgeber entgegenzutreten und die Streikenden„bei der Stange zu halten“.
Wir haben hier eine Situation vor uns, daß eine an sich rechtmäßige Maßnahme faktisch in ein Grundrecht eingreifen kann. Das verkennen die Vorinstanzen, wenn sie davon ausgehen, der Arbeitgeber müsse sich mit„zulässigen“ Maßnahmen wehren dürfen. Vielmehr ist in der Grundrechtsdogmatik anerkannt, daß rechtmäßige Maßnahmen„faktische“ Nebenwirkungen haben können, die der Verletzte nicht in jedem Ausmaß hinzunehmen hat. Wegen dieser Auswirkungen kann dann die Maßnahme insgesamt rechtswidrig sein. Zu denken ist hier insbesondere an die Fälle des vom Bundesgerichtshof entwickelten„enteignenden Eingriffs“ in das Eigentumsrecht im Sinne von Art. 14 GG!*,
Auch zu Art. 9 Abs. 3 GG ist anerkannt, daß der Arbeitnehmer auch vor solchen faktischen Eingriffen geschützt werden soll,'$ was das Grundgesetz durch die Formulierung„beeinträchtigen“ im Gegensatz zu„behindern suchen“ zum Ausdruck bringt!®.
Insofern können sich Arbeitgebermaßnahmen indirekt(„vermittelt“) auf das Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers auswirken. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG will gerade eine Schlechterstellung aus Anlaß des Streiks durch„Sanktionen“ des Arbeitgebers unterbinden!”.
So kann eine„an sich“ rechtmäßige Straßenbaumaßnahme einen rechtswidrigen faktischen Eingriff in das Eigentumsrecht eines Anliegers darstellen, wenn die Straßenbauarbeiten verzögert werden und damit die„Opfergrenze“ überschritten wird. Ähnlich könnte der Fall auch hier liegen. Die„an sich“ zulässige Maßnahme des Arbeitgebers könnte faktisch in das Streikrecht der Arbeitnehmer eingreifen. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG will den Arbeitnehmer vor Sanktionen des Arbeitgebers schützen. Von der Vergütung der Mehrbelastung vermag als Nebenfolge u. U. ein Anreiz auf die Streikenden auszugehen, die Arbeit wegen dieser„lukrativen“ Seite der Streikarbeit aufzunehmen. Zu fragen ist, ob die Maßnahme des Arbeitgebers wegen dieser Nebenwirkung im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG rechtswidrig geworden sein kann. Man könnte meinen, daß