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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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166 Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes

in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu den Tarifausschlußklauseln er­hobenen Bedenken stoßen?®,

Der Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit des Außenseiters durch Tarifaus­schlußklauseln ist der spiegelbildliche Fall zu dem vorliegenden. Das Bundesar­beitsgericht hatte angenommen, durch das Vorenthalten nur den organisierten Arbeitnehmern gewährten Leistungen, nämlich eines um DM 60 erhöhten Ur­laubsgeldes, werde in die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten ein­gegriffen. Auch dort lag ein direkter Eingriff in die Vertragsfreiheit der Außen­seiter nicht vor, sondern lediglich eine faktische Beeinflussung bzw. Beeinträch­tigung der Lage der Außenseiter durch die Tarifparteien?!.

Der Tarifausschlußklausel lag das Bestreben zugrunde, den Gewerkschaftsmit­gliedern wenigstens zum Teil einen Ausgleich für die Aufwendungen zu ersetzen, die sie für die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften machen müssen?,

Bei einem Gewerkschaftsbeitrag von 1% sind das pro Jahr ungefähr 200 DM. Das vorgesehene Zusatzurlaubsgeld erreichte diesen Betrag nicht einmal annä­hernd. Das Bundesarbeitsgericht sah in dieser Zusatzleistung an Organisierte eine sozialinadäquate Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit der von ihr ausgeschlossenen Außenseiter, ohne allerdings eine fundierte Abwägung zwi­schen der positiven Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer und ihrer Koalitionen und der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter vorzunehmen??,

Eine solche Abwägung hätte berücksichtigen müssen, daß zulässige Verein­barungen der Tarifparteien, die in die negative Koalitionsfreiheit der Außensei­terfaktisch eingreifen, nicht schlechthin wegen dieser Nebenwirkung unzuläs­sig sein können. Art. 9 Abs. 3 GG enthält insoweit eineEinrichtungsgarantie, die den grundrechtlichen Schutz der positiven Koalitionsfreiheit bei der Abwä­gung zu beachten gebietet.

Das Bundesarbeitsgericht sieht dies zwar offenbar, meint aber im konkreten Fall, daß durch die Tarifausschluß- und Abstandsklauseln Druck auf die Nicht­organisierten ausgeübt werde, der Organisation beizutreten, was wegen der in­tendierten Ausschlußwirkung der Außenseiter von dieser Leistung eingröbli­cher Verstoß gegen das Gerechtigkeitsempfinden und deshalb sozialinadäquat sei. Nicht die schlichte, an die Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit als Lei­stungsbemessungsfaktor anknüpfende Differenzierungsklausel wurde beanstan­det, sondern der Ausschluß der Außenseiter durch Eingriff in deren Vertrags­freiheit. Die Abwägung wurde also mit Hilfe einer qualitativen, nicht einer quantitativen Erwägung zum Nachteil der positiven Koalitionsfreiheit der Ge­werkschaften entschieden. Im vorliegenden Falle wäre der Abwägungsprozeß ebenfalls mit einer qualitativen Erwägung zu entscheiden, wenn etwa der Arbeit­geber allen Arbeitnehmern für die Zukunft die Unterzeichnung von Nichtstreik­