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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes 169

und er sich obendrein dem Odium desStreikbrechers und des unsolidarischen Verhaltens von seiten der Streikposten ausgesetzt sieht. Wenn der Arbeitgeber hier ansetzt und im Interesse der Weiterführung der Produktion versucht, durch finanzielle Anreize dieseHemmschwelle herabzusetzen, kann das so lange nicht alsmaßloser Druck gewertet werden, als ein vernünftiger Arbeitnehmer dies tatsächlich als Entgelt für diese in Kauf zu nehmenden Nachteile ansehen muß. Solange liegt in der Zahlung auch keine gezielte Prämierung desStreik­bruchs. Keiner der Streikenden, der die Notwendigkeit des Streiks bejaht, wür­de um einer solchen Prämie willen den Streik abbrechen®).

Die Freiheit, sich weiterhin für den Streik und gegen die Streikarbeit zu entschei­den, wird nicht ausgehöhlt; der Streik bleibt möglich, wie auch die Streikergeb­nisse gerade im Bereich der Druckindustrie gezeigt haben.

Dem Arbeitgeber kann das Recht, den Betrieb mit Arbeitswilligen fortzuführen und diese angemessen, bezogen auf die konkrete Arbeitssituation, zu bezahlen, um so weniger beschnitten werden, als auch die GewerkschaftenDruck aus­üben dürfen. Insofern kann generalisierend von einer Balance vonDruck und Gegendruck gesprochen werden. So können die Gewerkschaften Streikposten aufstellen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts?® die arbeits­willigen Arbeitnehmer zur Rede stellen bzw. an sie appellieren und von ihnen Rechenschaft für ihr Verhalten fordern dürfen. Das BAG führte aus,zum Streik gehöre auch der Versuch und gegebenenfalls das Gelingen des Versuchs, neue, dem bestreikten Betrieb bisher nicht zugehörige Arbeitskräfte von der Aufnahme der Arbeit... abzuhalten, also sie von dem bestreikten Betrieb abzu­sperren. Auch hier ist maßvoller Druck im Rahmen der Interessenabwägung hinzunehmen, d.h. zugleich im Sinne von$ 240 StGBnicht verwerflich?,

Daß Gewerkschaften über solche Druckmittel verfügen und verfügen dürfen, er­hellt sich schon daraus, daß nicht sie es waren, die die Aufhebung des vormali­gen$ 152 Abs. 2 GewO forderten, sondern vielmehr die Arbeitgeberverbände: Die Gewerkschaften verfügten über ausreichende außerrechtliche Disziplinie­rungsmittel, der Arbeitgeberverband nicht, um die erforderliche Kampfdisziplin sicherzustellen(was der vormalige$ 153 GewO indirekt bewies). Ein druck- und reibungsloses Verhältnis der Arbeitskampfparteien ist in einer Marktwirtschaft mit nichtstaatlichen, bilateral monopolisierten Entscheidungsprozessen auf den Arbeitsmärkten institutionell nicht möglich. In einer Entscheidung vom 6. 4. 192238 führte das Reichsgericht?? bereits aus:

Steht es nach den obigen Darlegungen jedem einzelnen frei, sich einer Orga­nisation anzuschließen oder nicht, so muß andererseits anerkannt werden, daß die Organisationen ein berechtigtes Interesse daran haben, sich möglichst stark auszubauen und sich so im gewerblichen Lohnkampf einen möglichst großen Einfluß zu verschaffen, daß sie auch bei der Verfolgung dieses Zieles