Lohnzahlung während eines Arbeitskampfes 169
und er sich obendrein dem Odium des„Streikbrechers“ und des unsolidarischen Verhaltens von seiten der Streikposten ausgesetzt sieht. Wenn der Arbeitgeber hier ansetzt und im Interesse der Weiterführung der Produktion versucht, durch finanzielle Anreize diese„Hemmschwelle“ herabzusetzen, kann das so lange nicht als„maßloser“ Druck gewertet werden, als ein vernünftiger Arbeitnehmer dies tatsächlich als Entgelt für diese in Kauf zu nehmenden Nachteile ansehen muß. Solange liegt in der Zahlung auch keine gezielte Prämierung des„Streikbruchs“. Keiner der Streikenden, der die Notwendigkeit des Streiks bejaht, würde um einer solchen Prämie willen den Streik abbrechen®).
Die Freiheit, sich weiterhin für den Streik und gegen die Streikarbeit zu entscheiden, wird nicht ausgehöhlt; der Streik bleibt möglich, wie auch die Streikergebnisse gerade im Bereich der Druckindustrie gezeigt haben.
Dem Arbeitgeber kann das Recht, den Betrieb mit Arbeitswilligen fortzuführen und diese angemessen, bezogen auf die konkrete Arbeitssituation, zu bezahlen, um so weniger beschnitten werden, als auch die Gewerkschaften„Druck“ ausüben dürfen. Insofern kann generalisierend von einer Balance von„Druck und Gegendruck“ gesprochen werden. So können die Gewerkschaften Streikposten aufstellen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts?® die arbeitswilligen Arbeitnehmer zur Rede stellen bzw. an sie appellieren und von ihnen „Rechenschaft“ für ihr Verhalten fordern dürfen. Das BAG führte aus,„zum Streik gehöre auch der Versuch und gegebenenfalls das Gelingen des Versuchs, neue, dem bestreikten Betrieb bisher nicht zugehörige Arbeitskräfte von der Aufnahme der Arbeit... abzuhalten, also sie von dem bestreikten Betrieb abzusperren“. Auch hier ist maßvoller Druck im Rahmen der Interessenabwägung hinzunehmen, d.h. zugleich im Sinne von$ 240 StGB„nicht verwerflich“?”,
Daß Gewerkschaften über solche Druckmittel verfügen und verfügen dürfen, erhellt sich schon daraus, daß nicht sie es waren, die die Aufhebung des vormaligen$ 152 Abs. 2 GewO forderten, sondern vielmehr die Arbeitgeberverbände: Die Gewerkschaften verfügten über ausreichende außerrechtliche Disziplinierungsmittel, der Arbeitgeberverband nicht, um die erforderliche Kampfdisziplin sicherzustellen(was der vormalige$ 153 GewO indirekt bewies). Ein druck- und reibungsloses Verhältnis der Arbeitskampfparteien ist in einer Marktwirtschaft mit nichtstaatlichen, bilateral monopolisierten Entscheidungsprozessen auf den Arbeitsmärkten institutionell nicht möglich. In einer Entscheidung vom 6. 4. 192238 führte das Reichsgericht?? bereits aus:
„Steht es nach den obigen Darlegungen jedem einzelnen frei, sich einer Organisation anzuschließen oder nicht, so muß andererseits anerkannt werden, daß die Organisationen ein berechtigtes Interesse daran haben, sich möglichst stark auszubauen und sich so im gewerblichen Lohnkampf einen möglichst großen Einfluß zu verschaffen, daß sie auch bei der Verfolgung dieses Zieles
