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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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220 Tendenzen der Aus- und Weiterbildung

chen Kulturtradition zu brechen und für alle gleiche Bildungs- und Sozialchan­cen zu schaffen, erwächst in der heutigen Zeit der Antriebsfaktor für die Ent­wicklung und Gestaltung der Arbeits- und Bildungsgesellschaft von morgen aus den modernen Technologien und den sozialen Ansprüchen. Auch die anhalten­den Probleme struktureller Arbeitslosigkeit wirken in unterschiedlicher Form auf das Bildungssystem von heute und morgen zurück. Der Leitbegriff heißt ganz allgemein nicht mehr Kultur- und Gesellschaftskritik, sondern allgemeine Grundbildung und fachbezogene sowie berufsspezialisierte Bildungsoffensive der Beschäftigten und Arbeitslosen. Die Qualifikationsfrage wird zur neuen Schlüsselfrage des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Die Frage nach einem neuen Verständnis von Allgemeinbildung und das Postu­lat lebenslanger Weiterbildung sind dabei, ausgelöst vom technisch und sozial geprägten Strukturwandel unserer Gesellschaft, in den Mittelpunkt der gegen­wärtigen bildungs- und gesellschaftspolitischen Diskussion gerückt.

Steigende Berufsanforderungen, Wegfall von Berufsqualifikationen und zuneh­mende berufliche Spezialisierungen erfordern ein Umdenken im Bildungsver­ständnis allerdings nicht in Richtung einer weiteren Spezialisierung der schuli­schen Bildung. Notwendig ist vielmehr, die Besinnung auf eine allgemeine schu­lische Grundbildung, auf die berufliche Erstausbildung und eine lebenslange Weiterbildung als berufliche Um- oder Weiterqualifikation sowie in allgemeiner Hinsicht aufzubauen. Auch in der beruflichen Erstausbildung führt dies, wie die Neugestaltung der Ausbildungsordnungen in den Metall- und Elektroberufen zeigt, zur Gliederung in eine Grundbildung und eine darauf aufbauende Fach­ausbildung. Ein vergleichbarer Ansatz bietet sich auch für den gymnasialen Be­reich mit der Gliederung in eine gymnasiale Grundbildung und darauf aufbauen­de Bildungsprofile sprachlicher, naturwissenschaftlicher, historisch-politischer, musischer Schwerpunkte an.

Die wachsende Freizeit und der lebenslange Bildungs- und Qualifizierungspro­zess erfordern auch eine stärkere Verlagerung der Bildungsmaßnahmen in die Freizeit und neue Formen der Verzahnung von Arbeit, Freizeit und Bildung.

Konturen und Intensität der gegenwärtigen gesellschafts-, kultur- und bildungs­politischen Auseinandersetzung, beispielsweise über den Bildungsauftrag der Schule und das künftige Schulsystem traditionell gegliedertes Schulwesen oder integriertes Gesamtschulsystem, werden dort faßbar, wo die Bewältigung der technisch-sozialen Herausforderung der Gesellschaft dem Ziel der Veränderung von Gesellschaft gegenübersteht. Eine solche Kontroverse führt dann zu einem Bruch in der Gesellschaft. Schulische Bildung bzw. der Bildungsauftrag der Schu­le sollte im weiten Sinne vom gesellschaftlichen Konsens getragen sein. Nicht die Veränderung der Gesellschaft, sondern die pädagogische Leistungsfähigkeit muß das politische Entscheidungskriterium bei konkurrierenden Schulsystemen sein.