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Humanität und Rationalität in Personalpolitik und Personalführung : Beiträge zum 60. Geburtstag von Ernst Zander / hrsg. von Helmut Glaubrecht und Dieter Wagner
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Personalführung im Wandel der Zeit 275

die Führungsgrundsätze der HEW dann auch ab Mitte der 70er Jahre die Kritik gefallen lassen, die von vielen Seiten am Harzburger Modell geübt wurde.

So wurde zwar grundsätzlich begrüßt, daß mit der von Harzburg forcierten Ein­führung von Stellenbeschreibungen die Transparenz über Aufgabenverteilungen und Zuständigkeiten im Unternehmen erhöht wurde; die zu starre und formali­stische Handhabung dieses Instruments, das keine Rücksicht auf personenspezi­fische Belange und Besonderheiten nehme und eine ausschließliche Organisation ad rem vorsehe, die zudem nur mit Zustimmung der Unternehmensspitze an­gepaßt werden könne, wurde als zu statisch, zu starr und zu mechanistisch kriti­siert. Diese Handhabung würde den betrieblichen Gegebenheiten nicht gerecht und führe zu bürokratischem Formalismus'®, Hinzu käme, daß zu detaillierte und starre Funktionsabgrenzungen das Abteilungs- und Ressortdenken fördere und die Gefahr verstärkt würde, Entscheidungen aus der jeweiligen Sicht des Stelleninhabers zu treffen, ohne die bereichsübergreifenden Belange ausreichend zu berücksichtigen.

Überhaupt, so lautet weiter die Kritik, werde der Mitarbeiter in nicht ausreichen­dem Umfang an Entscheidungsprozessen beteiligt. Zwar sei es richtig, statt der früher häufig üblichen Einzelaufträge dem Mitarbeiter nunmehr einen festen Aufgabenbereich einzuräumen; dieser umfasse aber vielfach nur die operativen und repetitiven Aufgaben und stelle den Mitarbeiter daher in der Regel nicht zu­frieden!®, An übergeordneten Entscheidungen könne er nur im Rahmen von sehr formalisierten Mitarbeiter- und Dienstbesprechungen teilnehmen, die zur Darle­gung seiner Auffassung, nicht aber zu offenen Diskussionen führten!. Dahinter stehe beim Harzburger Modell ein Menschenbild vom Mitarbeiter, das stark von Mißtrauen gekennzeichnet sei. Deswegen seien auch die Instrumente der Dienst­aufsicht und Erfolgskontrolle(Prüflisten, Kontrollpläne etc.) so stark ausge­baut, während andererseits der Hinweis auf eine Selbstkontrolle, die in zuneh­menden Maße Fremdkontrolle überflüssig machen könne, völlig fehle.

Mit diesem Stichwort wird noch auf einen weiteren Mangel des Harzburger Mo­dells hingewiesen; nämlich die fehlenden motivatorischen Aspekte: dies beginne bereits bei den Zielsetzungen für die einzelnen Aufgabenbereiche, die von oben vorgegeben und nicht etwa gemeinsam erarbeitet oder vereinbart würden; dieser ungenügende Integrationsgrad der Mitarbeiter setze sich fort in den formalisier­ten Formen der Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern und schlage sich endlich in den getreu dem Leninschen MottoVertrauen ist gut, Kontrol­le ist besser perfektionierten Überwachungsregeln nieder.

Aus dieser Grundeinstellung heraus fehle auch jeder Hinweis, wie durch gezielte Förderung der Kreativität der Mitarbeiter die Innovation vorangetrieben werden könne; die sozialpsychologischen Motivstrukturen auf das Verhalten der Mitar­beiter würden völlig vernachlässigt.