Personalführung im Wandel der Zeit 277
Hier wird bereits deutlich, wie der Zeitgeist auch auf die Führungsvorstellungen durchgeschlagen hat. Der Individualismus ist in den 70er Jahren gewachsen. Der einzelne und vor allem die Führungskraft möchte sich nicht mehr in ein bestimmtes Schema pressen lassen und in ein enges Korsett von Vorschriften eingebunden sein; er möchte— innerhalb eines gewissen Rahmens— entsprechend seiner Individualität frei gestalten und entscheiden können.
Diesen Vorstellungen kommt der Begriff— und natürlich auch der Inhalt der Leitlinien der Reemtsma-Gruppe entgegen.„Leitlinien nennt die Vorgabe eines Handlungsrahmens und stellt damit eine Absage an jede bürokratische Zwangsvereinheitlichung dar. Leitlinien sind andererseits keine Rezeptsammlung, der man bei Bedarf und nach Belieben Einzelfallösungen entnehmen könnte“!*, Eher sind sie mit Leitplanken einer Autobahn vergleichbar. Sie verhindern, daß ein Fahrzeug völlig von der Bahn abkommt bzw. daß eine Führungskraft in ihrem Führungsverhalten extreme Positionen einnimmt. Allerdings kann— um in diesem Bild zu bleiben— die Führungskraft sehr wohl individuelle Ausprägungen in ihrem Verhalten gegenüber Mitarbeitern aufweisen.„Normalverhalten“ würde der mittleren Spur der Autobahn entsprechen, besonders fortschrittliche Führungskräfte müßten die Überholspur einnehmen, während konservativere Führungskräfte für einige Zeit sogar auf der Standspur verharren könnten; nur Geisterfahrer, die in eine völlig andere Richtung wollen, läßt auch das System der Leitlinien nicht zu. An diesem Gedanken wird auch deutlich, daß in die Führungsleitlinien die in der Fachliteratur geführten Diskussionen um die„situative Führung“ Eingang gefunden haben?, Der Spielraum der Leitlinien— dies kommt vor allem auch in dem eng mit den Leitlinien verknüpften Trainerleitfaden zum Ausdruck— ist so, daß je nach der Situation, in Abhängigkeit
— von dem Schwierigkeitsgrad der Aufgabe
— von der Strukturiertheit der Problemstellung
— vom Ausmaß der Fähigkeiten der Mitarbeiter
— von deren Einarbeitungsstand
— von der zur Verfügung stehenden Zeit
— von den Einstellungen der Führungskraft und anderen Faktoren mehr
die Ausprägung des kooperativen Führungsstils unterschiedlich sein kann. Dies bedeutet, daß der Umfang und das Ausmaß der Delegation von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung sowie der Grad der Beteiligung der Mitarbeiter an Entscheidungen nicht einheitlich für das gesamte Unternehmen festliegt, sondern von Ressort zu Ressort, von Bereich zu Bereich oder gar von Abteilung zu Abteilung durchaus variieren kann.
Auch dies unterscheidet die Führungsleitlinien von den sehr viel starreren, früheren Führungsgrundsätzen; diese Berücksichtigung individueller Gegebenheiten, diese Schaffung von Flexibilität im Personalführungskonzept wäre wiederum