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Moses Mendelssohn und die Aufgabe der Philosophie / von Heinrich Kornfeld
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entspricht das seiner ganzen Denkrichtung, und wenn Rosen­kranz in seiner »Geschichte der Kantischen Philosophie« den »Phaedon« mit einer »geschniegelten rhetorischen Schulchrie« vergleicht, so beweist das bloß eine merkwürdige Fähigkeit des Verfassers, unbestreitbare Vorzüge als Mängel darzustellen. Gerade die Klarheit des Ausdruckes, die Kant so oft bei Mendelssohn rühmt, 1 ) giebt uns die Mittel an die Hand, den Gedanken des Philosophen bis in die entferntesten Gegenden zu folgen und zeigt uns, wie die Wahrheit mit der Schönheit vertraut Arm in Arm gehen kann. Freilich tritt manchmal das formale Element etwas zu stark in den Vordergrund und räumt der Sprache übergroße Bedeutung ein; war doch Mendelssohn sehr geneigt, »alle Streitig­keiten der philosophischen Schulen für bloße Wortstreitig­keiten zu erklären oder doch wenigstens ursprünglich von Wortstreitigkeiten herzuleiten«. (Ges. Schr. II, 341 ; V, 547.)

Damit hätten wir ein wesentliches Moment gefunden, das bei der Untersuchung über unseres Philosophen Meinung von der Aufgabe seiner Wissenschaft berücksichtigt werden muß: das Bestreben, einen Gedankengang in möglichst ein­fache und allgemeinverständliche Sätze zu kleiden, die schweren Goldbarren der Metaphysik zu kleinen gangbaren Münzen umzuprägen. Diese überall hervortretende Tendenz hat zur Folge, dafs die Betrachtung häufig an der Oberfläche bleibt, manche Probleme nur flüchtig berührt und andere ganz aufser Augen läßt; ein Umstand, der auch bei unserer Frage deutlich zu Tage tritt.

Aber noch eine andere, schwerwiegendere Konsequenz ergiebt sich aus dieser Absicht, nämlich der bewußte Mangel einer systematischen Gedankendurchbildung. Mendelssohn

1) Siehe die betr. Abschnitte bei Brasch und Kayserling. Vgl. auch Jacobi, IV, 3. S. 114, 142. Garve, Sammlung einiger Abhandlungen, II, 65.