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als »das unmittelbar, d. h. sinnlich geschaute Wahre« so weit von "? Baumgartens "cognitio veri sensitiva
Was nun die zeitgenössischen Popularphilosophen betrifft, mit denen Mendelssohn in fruchtbarem Gedankenaustausch stand, so läßt sich nicht leugnen, daß er den meisten eine übergroße Bedeutung beilegte1) und sie als selbstständige Denker schätzte, obwohl der Wert ihrer Leistungen sich vornehmlich nach der Willfährigkeit bestimmt, mit der sie dem neuerwachenden Denkgeiste vorarbeiten und huldigen. In der That aber ist ein Aufklärer wie Lessing, der anstatt mit »natürlicher Moral« mit Kongenialität die höchsten Probleme der Kunst und Philosophie beurteilte, schon weit mehr als eine vorbereitende Erscheinung, und selbst ein Mann wie Reimarus ist nicht zu unterschätzen, von dem Mendelssohn den wertvollen Gedankengang seines letzten Phaedonischen Gespräches entlehnen konnte. 2) Gerade des Reimarus’ moralische Tendenzen, die dann bei allen Aufklärern wiederkehren, haben in Religion, Kunst und Philosophie die Menschheit erheblich weitergeführt, indem sie den Kampf gegen Orthodoxie und Intoleranz begannen, und Hettner legt auf die Mangelhaftigkeit der Mittel zuviel Gewicht, wenn er sagt: »Die wissenschaftliche Schwäche der Aufklärungsphilosophie war ihre geschichtliche Stärke,« wenngleich in diesen Worten eine leicht zu erkennende Wahrheit liegt. Das sichtbarste Kennzeichen der Periode: die praktischsittliche, philantropische und humanitäre Tendenz 3 ) drückt
1) Darauf ist auch Hegels Vorwurf zurückzuführen, den derselbe in seinen »Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie«, Berlin 1836, III, 434 ausspricht und dem Kampe (a. a. O. S. 5) beipflichtet.
2 ) Reimarus, Vornehmste Wahrheiten der natürlichen Religion. Hamburg 1753. S. 642 — 698.
3 ) Interessante diesbezügliche Quellenstellen in: Resewitz, Allgem. deutsche Bibl. 1778, Bd. 8; Garve, Vermischte Aufs. II, 225 ff.; Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, Bd. VI.