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Moses Mendelssohn und die Aufgabe der Philosophie / von Heinrich Kornfeld
Entstehung
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daß das Endergebnis dem Glaubensbedürfnisse seines Herzens entsprechen werde, wie er einmal im »Phaedon« betont, zumal da Herz und gesunder Menschenverstand ihm wie ein­trächtige Genossen erscheinen, aber thut er denn damit etwas Anderes, als was wir unbewußt unseren gesamten Forschungen zu Grunde legen? Wäre denn nicht das Leben eine trostlose und verächtliche Sisyphus-Arbeit, wenn nicht das rechte Handeln auch ein edles wäre, und würden wir unablässig nach weiterer Erkenntnis streben, wenn wir nicht still­schweigend voraussetzten, dafs das Wahre zugleich auch das Gute ist?

An dieser Stelle müssen wir endlich noch die Frage streifen, was Mendelssohn denn eigentlich unter dem so oft betonten »gesunden Menschenverstände« sich denkt, da eine Gleichsetzung dieses Ausdruckes mit dem englischen common-sense, wie sie u. A. Kampe (a. a. O. S. 5) vornimmt, den Begriff der Oberflächlichkeit und Unwissenschaftlichkeit einschließen und damit dem philosophischen Gedankengange seinen Wert rauben würde.

Daß dem aber nicht so ist, geht am deutlichsten aus einer Stelle des kleinen Aufsatzes »Von der Verwandtschaft des Schönen und Guten«1) hervor, welche folgendermaßen lautet: »Die Wahrheit streitet sehr oft mit dem bon sens. und in diesem Falle kann sie nur durch die Vernunft er­reicht werden, z. B. die Gestalt der Erde, ihre Bewegung, die Entfernung der Fixsterne, die unendliche Teilbarkeit der Materie. Ebenso streitet sehr oft die sittliche Empfindung mit der Pflicht«. Das auf sinnliche Erfahrung sich gründende gemeine Bewußtsein ist also ebenso wenig wie die natür­liche Empfindung des Herzens befugt, die Wahrheit und das Recht für sich in Anspruch zu nehmen; die Vernunft allein

1) Philosophische Schriften, herausg. von Dr. Brasch, II, 290.