vermag den Ausschlag zu geben, wenn sie sich nämlich von wüsten Spekulationen fernhält (V, 701) und stets den gesunden Menschenverstand zu Hülfe nimmt. »So oft die Vernunft soweit hinter dem gesunden Menschenverstande zurückbleibt, oder gar von demselben abschweifet, und in Gefahr ist auf Irrwege zu geraten, wird der Weltweise selbst seiner Vernunft nicht trauen, und dem gemeinen Menschenverstände widersprechen, sondern ihr vielmehr ein Stillschweigen auferlegen, wenn ihm die Bemühung nicht gelingt, sie in die betretene Bahn zurückzuführen, und den gesunden Menschenverstand zu erreichen.« (Ges. Schriften II, 316; vgl.II, 318.) Nicht also der common-sense darf der oberste Schiedsrichter für Wahrheit und Irrtum sein, sondern eine Vernunft, die man vielleicht die gesunde Vernunft nennen könnte und deren wesentlichstes Kennzeichen darin besteht, daß sie teils durch Betrachtung der äußeren Dinge, teils durch Reflexion auf die eigenen inneren Zustände ihren Inhalt empfängt (II, 265) und stets Fühlung mit den Realitäten des wirklichen Lebens zu behalten sucht. »Wenn der Weltweise in seiner Spekulation auf [so] ungeheuere Behauptungen stößt, so ist es, wie mich dünkt, hohe Zeit, daß er sich orientiere und nach dem schlichten Menschenverstände umsehe, von dem er so weit abgekommen ist.«
Es hat sich demnach bei der bisherigen Untersuchung ergeben, daß Moses Mendelssohn ein Denker ist, der wohl der individualistischen Richtung seiner Zeit folgt, sich aber im Großen und Ganzen von den Schwächen derselben, welche wir am Anfänge genetisch zu entwickeln versucht haben, leidlich frei hält. Wir haben ferner gesehen, daß seine Abhängigkeit von Leibnitz und Wolff keine unbedingte ist und daß des Letzteren praktische Philosophie über unvollkommene Anläufe nicht hinauskommt, daß ebenso die Zeitgenossen in der Methode ihrer philosophischen Betrach-