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Moses Mendelssohn und die Aufgabe der Philosophie / von Heinrich Kornfeld
Entstehung
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ihren Prinzipien aufzustellen versucht. Der Historiker der Philosophie, dessen Beruf es ist, »ein Bild der die Gesamt­entwickelung der Wissenschaften beherrschenden Ideen zu entwerfen« (Wundt), kann sein Vorhaben nur ausführen, indem er axiologische Gesichtspunkte berücksichtigt, da ein Fortschreiten, eine Annäherung an die Realisierung einer Idee sich nur unter der Voraussetzung objektiver Güter und ihrer Beziehungen zu dem Menschen nachweisen läßt. Ebenso würde die Entstehung ethischer Organismen und der augen­blickliche Bestand derselben nach den Grundsätzen der Werten­lehre beurteilt werden können, indem man überall den Nach­druck darauf legt, ob die betreffenden Staats-, Rechts- und Kirchenformen diesem besonderen Volke in möglichster Aus­dehnung die Erreichung und den Genufs der wahren Güter sichern, deren oberstes die in reinster Gesetzmäßigkeit sich entfaltende Freiheit ist.

Und für die Freiheit als das höchste Gut des Menschen hat jener Mann gearbeitet und gekämpft, von dem diese ganzen Betrachtungen ihren Ursprung herleiten: Moses Mendels­sohn. Mit ihm, dessen Ansicht wir als eine selbständig aus der Seele fließende erkannt hatten, mufsten wir zugestehen, dafs das höchste Ziel der Philosophie die Gesamtglückseligkeit des Menschengeschlechtes ist, mit ihm haben wir diesen Be­griff in seiner Reinheit und Erhabenheit zu fassen gesucht. Mit ihm haben wir an das Wahre den Maßstab des Schönen und Guten angelegt, mit ihm gemeint, dafs die Philosophie uns vor Allem über den Menschen belehren soll, über ein Wesen, über seine Aufgabe und über sein Wohl. Eine nähere Untersuchung ergab, dafs die Philosophie dieser Auf­gabe in der ihr eigentümlichen Weise nur dann gerecht werden kann, wenn sie ihr Bereich durch die Hinzunahme einer Wertenlehre erweitert, deren Grundzüge wir in knappen Umrissen zu entwickeln versucht haben.