Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
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Wandlung, die ebensowohl in der menschlichen Entwicklungslinie lag, wie sie durch politische, dem kirchlichen Universalgedanken entgegenwirkende Bewegung getragen wurde, sondern zur Trägerin ist die Erfindung des Gutenberg und seiner Kunstgenossen geworden. Langsam pflanzte sich innerhalb eines Jahrhunderts diese Renaissance des Geistes durch Europa fort, überall mit ihrer Frische auf neue Bahnen der Kunst weisend. Schon das äußerliche politische Gestalten von den selbstbewußten Städterepubliken zu den größeren Landesgebilden gibt dieser Zeit neue Anregungen, die ihre künstlerische Wurzel in der gewerblichen Blüte der Städte hatte, die ihre Richtung jedoch durch die in Kampf und Politik angeregte dynastische Willenskundgebungen der Herrscher hatte und weite welt­liche Gebiete der Kunst öffnete. Wenn wir den eisernen Friedrich im Kampfe mit der Selbst­herrlichkeit seiner Städte sehen, dann ist dies nicht allein eine durch die neuen Landes­ausgaben gebotene Politik, sondern sie steht , im innigsten Zusammenhangs mit der Öffnung der Landesgrenzen für den Import südlicher Kulturanschauungen. Nur lang­sam wurde der Norden davon ergriffen und mit hineingezogen in den Strudel dieser aufbrausenden Neuformierung von Geist und Kultur. Der haushälterische Sinn Johanns konnte unmöglich die letzten Folgerungen dieser Wandlung übersehen, wohl aber verstehen, daß sich hier seinem Lande Offenbarungen zeigten, die eine pflege be­dingten. Und wenn sich Joachim I. offiziell der Reformation in den Weg stellte, wofür auch politische Erwägungen nicht unbedeutend maßgebend waren, dann hat er persönlich wohl als Erziehungsergebnis seines Vaters und aus geistiger Bean­lagung heraus die ungeheure Wertschätzung dieser Richtungen für die Kultur seiner­zeit richtig erkannt. Freilich war er auf der anderen Seite nicht Mäzenatennatur genug, um die Folgerungen auch künstlerisch in neue Bahnen zu leiten. Das Denkmal seines Vaters, in dem schon der Realismus einer neuen Zeit sich ankündigte, stand, so hoch es auch bildnerisch zu bewerten ist, doch noch zu sehr im Banne der Vergangenheit, um ihn die neue Richtung völlig überblicken zu lassen. Das war erst der impulsiven und mehr weltlich angelegten Natur Joachims II. Vorbehalten.

Der eigentliche Vater der brandenburgischen Renaissance ist also Joachim II., wenn auch sein Vater, wie wir gesehen haben, ihm insofern tüchtig vorgearbeitet hatte, als er neben seinen eigenen humanistischen Bestrebungen auch Verbindungen nach Sachsen, Franken, ja selbst nach Italien pflegte, die den erwähnten Battista an seinen Hof führten; die auch für Kleinkunst gewiß manche Anregung mit sich brachten. Schon der Grabstein des Berliner Apothekers Johann Zehnder im Turm von St. Nikolai zeigt die neue Richtung sowohl in seiner architektonischen Grundgestalt wie in dem überreich angewandten, anscheinend nach der Vorlage eines der damals zeit­genössischen Ornamentalisten gefertigten, verzierenden Beiwerk. Interessant ist dieser Grabstein, weil er den naheliegenden Widerstand der überkommenen Überlieferung deutlich erkennen läßt, den diese frühe Bekanntschaft mit der neuen Auffassung fand. Der Reichtum des schmückenden Beiwerks, verbunden mit der Unbehilflichkeit des Aufbaues, der breiten Anlage und der, noch aus dem gotischen Bestände übernommenen schweren Bekrönung zeigen, daß die Schöpfung dieses Werkes einem Kreise von Künstlern an­gehört, die technisch geschickt und auf der veränderten Geschmacksrichtung fußend, doch nicht meisternd auf ihre eigene Empfindung einwirken konnten. Es ist noch sehr viel