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gestaltet wurde. Zum ersten Male gewann unter Nehring die Anschauung Geltung, daß jede Bauerscheinung in ihrer künstlerischen Wirkung von der örtlichen Umgebung abhängig wäre, und daß als notwendige Folge bei Neuanlagen Straßen-, Linienführung und Architektur im engsten Zusammenhangs voneinander abhängig bleiben müssen. Feste handwerkliche Regeln, die in den mittelalterlichen Bauschulen die Form oft schematisierten, wurden jetzt durch ästhetische, hauptsächlich an dem Studium italienischer Stadt- baukunst gewonnene Anschauungen ersetzt. Sie strebten auf das Zusammenarbeiten von Geometer, Baukünstler, Plastiker und Landschastsgärtner, die nicht selten in einer Person vereinigt waren. Daraus ergab sich eine Regel- und Gesetzmäßigkeit, die Architektur, Straße und Platzbildung umschloß, die auch Minderbegabte einer großen künstlerischen Idee dienstbar machte, weil sie mit verhältnismäßig wenig Mitteln zu arbeiten verstand.
Diese Anschauungen sicherten eine gute Schulung, die aber nur eine Grundlage — keine Fessel war. Schon durch den Franzosen de Bodt war die strenge und formalistische Gebundenheit der kurfürstlichen Zeit gelockert; schon begann sich der Wandcharakter der Häuser aufzulösen, um durch Portale, Risalite und andere Ausbauten eine größere plastische Wirkung und stärkere Licht- und Schattenmassen in das Straßenbild zu werfen, da führte das Schicksal den Mann nach der preußischen Hauptstadt, der wie kein anderer in die Bauentwicklung Berlins eingreifen sollte, dessen Genius die tiefste Spur durch die Kunst des Jahrhunderts zog: Andreas Schlüter. Man wird nicht falsch in der Abb. 89. Kapelle im Schloß zu Cöpenick. Annahme gehen, daß der Lebensweg dieses ^ Aufnahme von h°spb°wg^ph z. -i,b. sch-mtz. Mannes nicht zufällig über Berlin führte,
sondern daß der feinsinnige und kunstliebende König den großen Künstler ebenso suchte, wie dieser in seiner vollen Gestaltungsfülle nach einem möglichst weiten Wirkungskreis strebte. Wenn wir auch über seine Lebensumstände wenig unterrichtet sind — weder sein Geburtstag, noch sein Todesjahr stehen sicher! —1) wenn wir auch im einzelnen nicht
1 ) Durch neuere Funde scheint sicherzustehen, daß Andreas Schlüter am 5. März 1634 in Danzig als Sohn eines gleichnamigen Bildhauers geboren ist. vgl. Cuny, Danzigs Kunst und Kultur im 16. und 17 . Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1910, S. 107 . Die beste Schilderung seines Lebens und Wirkens, die viele bisher unbekannte Tatsachen ans Licht gezogen und kritisch beleuchtet, verdanken wir Cornelius Gurlitt in seinem Buche: Andreas Schlüter. Berlin 1891. Freilich vermag ich die aus stilistischen Vergleichen gezogenen Folgerungen Gurlitts nicht überall anzuerkennen. Über Schlüters letzte Lebenszeit hat besonders Peter Walle in seiner Studie
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