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werden. Schlüters Stern erblich. Noch sechs Jahre blieb er in Berlin, mehr als Bildhauer denn als Architekt beschäftigt; nur das Kamekesche Gartenhaus, die heutige Loge Royal York (Abb. 94), ist sicher, das Kreuzsche Haus, Klosterstraße 36, wahrscheinlich von ihm. Dann verließ er die Stätte seines höchsten Triumphes und seiner bittersten Enttäuschung.
Fern der Heimat, in Petersburg, hat unser größter Künstler des 17. Jahrhunderts ein unbekanntes Ende gefunden.
Ein schwerer, aber in seiner Entfaltung gewaltiger und kühner Barock sind die künstlerischen Züge des Schlüterschen Schaffens. In seiner architektonischen Schwere ist es durchgeistigt von einer fast unerschöpflichen Phantasie und einem seltenen Reichtum der Formen. Schlüter war seinem ganzen Wesen nach Bildhauer geblieben; seine architek- tonischen Schöpfungen, die die gerade Linie eigentlich nur als Steigerung unerhörter Lebendigkeit und des kurvenreichen, nichtarchitektonischen Elementes kennen, versuchen jedem Banne strenger Symmetrie zu entrinnen. Selbst in der prächtigen Architektur des inneren Schloßhofes werden die mächtigen und wuchtigen Senkrechten der Säulen und Pilaster durch das reiche figurale Beiwerk zu einer prunkvollen Bewegtheit übergeleitet. Diese rein plastische Wirkung, diese Unbefangenheit, die nur notdürftig die strengen Linien der älteren Zeit achtet, um sie bei jeder Gelegenheit malerisch zu durchbrechen, können wir in allen Bauwerken Schlüters beobachten. Bei dem erwähnten Kamekeschen Gartenhause spielt der Rhythmus wagerechter und senkrechter Linien fast übermütig durcheinander; hier schwingt sich die Nichtachtung architektonischer Elemente zu einem Spiele graziöser Linien auf, das in ähnlicher Vollendung nur der Schlüter kongeniale Pöppel- mann an dem Dresdener Zwinger noch einmal versucht hat. Es lag zweifellos eine große Gefahr in dieser architektonischen Nonchalance, die den Zeitgenossen nicht sehr auffiel, weil das feine künstlerische Gefühl Schlüters jede Gewaltsamkeit wieder rhythmisch anzugleichen verstand. Aber unter seinen Nachfolgern wurde dieser Zug zu einem Verhängnis.
Will man die Schlütersche Kunst völlig würdigen, dann muß man sie in ihren Raumwirkungen übersehen, bei denen er als ein kühner Neuerer großräumige und reichgefensterte Säle mit der Grandezza des Äußeren derart zu verschmelzen wußte, daß sie das feierliche Pathos in weichere Mollakkorde auflösten. Eines der hervorragendsten Denkmäler bildet das große Treppenhaus im Schlosse. Hier war er unbestrittener Meister, der immer wieder Mittel findet, um den Charakter einer zwar feierlichen und prächtigen Raumwirkung mit behaglicher Wohnlichkeit zu durchsetzen. Nicht die Gewaltsamkeit späterer Epigonen, die die Wand zu einer barocken Plastik auflösten, kennt er, sondern jene Sicherheit der Maße und Proportionen, die Wand, Decke und Öffnungen mit Berücksichtigung ihrer architektonischen Eigenheiten als Einheit auffaßt. Das ist um so mehr zu betonen, als Schlüter zunächst bildnerisch empfindet und doch die Herrschaft über den Stoff und über sich selbst behält. Wenn auch der Maler, der diese im Schlosse, in der Loge Royal York und in anderen Gebäuden erhaltenen Räume ausschmückte, einen wesentlichen Anteil an der Stimmung hat, so wußte Schlüter sehr wohl die Grenzen für seine plastische Umrahmung zu erkennen, die erst verwischt wurden, wenn er nicht mehr in dem unmittelbaren Banne eines Raumes stand: bei Möbeln, Schlitten und anderen Klein-