Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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ein unvergleichlich schönes Platzbild bereichert, sondern auch einen architektonischen Mittelpunkt gegeben, von dem alle späteren Anlagen und Erweiterungen, die sich jede für sich entwickelt haben, abhängig gewesen wären (Abb, 95 ).

Noch zu Lebzeiten Schlüters, der erst Anfang 1714 in Petersburg gestorben ist, zeigte sich die Lebenskraft seiner Kunst bei seinen schwachen Nachahmern, wenn sie auch an Stelle der genialen inneren Wahrheit wesentlich kältere formalistischere Züge trägt. Das war schon durch den Charakter seiner unmittelbaren Nachfolger bedingt, die nur die dekorative Seite der Schlüterschen Kunst beherrschten, sie aber äußerlich im Zügel zu halten verstanden. Als Oberbaudirektor trat Eosander von Goe t he an die Stelle Schlüters. Als ein korrekter Hofmann hatte er schon längst die verwegenen Entwürfe seines Vorgängers mit Geringschätzung beurteilt und vielleicht auch mit einer gewissen Genugtuung die Erbschaft angetreten, die ihm zunächst die Fortführung des Schloßbaues brachte. Ihn empfahl weniger das größere Fachwissen, das er geschickt unter der Maske einer klugen Mäßigung zu verbergen wußte, als eine hofmännische Geschmeidigkeit, die alle Aufgaben mit gleicher gefälliger Korrektheit zu erledigen verstand. Er scheint früh in die Dienste des Kurfürsten getreten zu sein, der ihn auf Reisen nach Italien und vielleicht auch nach Frankreich schickte. Am Berliner Hofe war er schnell emporgekommen. 1699 war er Kapitän zu Fuß und drei Jahre später Generalquartier­meister-Leutnant; daneben erwarb er sich als dilettierender Architekt eine angesehene Stellung, die ihm 1702 den Weg zum ersten Baudirektor und schließlich zur Nachfolgerschaft Schlüters. öffnete.1)

Eosander war von Hause aus nicht Abb. 96. Schloßportal. Von Eosander. ohne künstlerische Begabung. Seine schmieg­same Natur, die sich zuerst an dem Schlosse in Charlottenburg betätigen konnte, wies ihn mehr auf die französisch-holländische, als auf kraftvolle Schlütersche Richtung des Barocks mit ihrer Tiefe und ihrem kraftvollen Gehalt. Für Berlin bedeutete die Eosandersche Zeit kein Unglück; denn fast automatisch wirkte der große Schatz künst­lerischer Kraft nach, den der Genius Schlüters unmittelbar oder seine Mitarbeiter auf­gesammelt hatten. Auch bei dem Schlosse waren bereits der westliche Teil des Nord­flügels und ein großer Teil des westlichen Flügels durch Schlüter in ihren Hauptlinien vorgezeichnet. Bei dem persönlichen Werke Eosanders, dem mächtigen Triumphtor an der Schloßfreiheit, das eine freiere Nachahmung des Konstantinbogens in Rom ist, konnte er lediglich die äußere Wirkung wiedergeben, während seine Kraft als Schöpfer ver-

1) Später ging er als Militär in schwedische Dienste und starb als sächsischer General­leutnant in Dresden.