Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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Beide Architekten hatten aber Gelegenheit, an den Türmen der Parochial- und Sophien­kirche, der erstere an der Sophien-, der andere an der Parochialkirche ihre hervorragende künstlerische Begabung zu zeigen. Allein diese beiden Bauwerke beweisen, daß die gute künstlerische Überlieferung nicht erstorben, sondern eher nur an den einfachen Bauten geschult war.

Der protestantische Kirchenbau hatte wiederholt Wege gesucht, um die Erinnerungen der katholischen Zeit abzustreifen. Wenn auch unter Friedrich I. glückliche Versuche ge­macht wurden, das alte Langschiff in einen Kreuz- und Zentralbau überzuleiten, so wagte

man, wie dis Warten- und Nikolai­kirche zeigen, eine freiere Gestaltung nur an dem Turmhelm. Erst Friedrich Wilhelm, dessen schlichte und klare Frömmigkeit über jedem Zweifel stand, ließ die letzten gotischen Erinnerungen fallen. Die von seinen Architekten er­bauten Kirchtürme sind neue Gebilde, die den reich gegliederten Oberteil auf einer säulen- oder pfeilergeschmückten Vorhalle in bewegten Linien und stufen­förmigen Absätzen aufsteigen lassen, um schließlich den Turmhelm weich und rund in die Spitze überzuleiten. Dieser festlichen Außenseite stand allerdings ein schlichter, oft sogar ärmlicher Innen- bau gegenüber. Auf der anderen Seite aber fand der Zentralbau eine Weiter­bildung in der von Dietrich 173336 erbauten Böhmischen und der von Favre errichteten Dreifaltigkeitskirche, die mit ihrem Rundbau und den kurzen Kreuz­armen sehr wohl den Ansprüchen an eine predigtkirche entsprachen. An dem wenig gegliederten Äußeren tritt aller­dings zutage, daß die Architekten dieser Bildung noch etwas befangen gegenüberstanden, obwohl sie von der von Georg Bähr in Dresden erbauten Frauenkirche sichtbar be­einflußt wurden.

Zm wesentlichen aber zeigen alle diese Bauten die beiden Strömungen, die durch die brandenburgische Kunst als Erbteil vorfriderizianischer Zeit gingen. Auf der einen Seite die holländische, materialechte Einfachheit, die im wesentlichen den Flächencharakter beibehält, auf der anderen die reiche französische Barockkunst, deren bewegtere, plastischere Überfülle von akademischer Strenge gebändigt wurde. Neigt der ruhigere Philipp Gerlach mehr der ersteren zu, so steht sein ebenbürtiger Kollege Wartin Böhme im Banne der letzteren, ohne jedoch unmittelbare Einwirkungen französischer Schule zu äußern. Er

Abb. 105. Das Grumbkowsche Palais in Berlin. Von Martin Böhme.