Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
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Stadt, bei der künstlerische Grundsätze bis ins kleinste hinein herrschend blieben. Lin Potsdam konnte nur einmal entstehen; hier kulminierte das künstlerische Leben in der Zeit des großen Königs. Gegen diese Stadt treten alle Bauten in der Provinz zurück. Awar war ein Jahr nach dem Tode des Königs noch einmal Gelegenheit, die in Potsdam zur Entfaltung gekommenen Grundsätze bei der Wiedererbauung des abgebrannten Neuruppin anzuwenden, doch standen hier nur sehr beschränkte Mittel zur Verfügung. Immerhin gibt uns diese neu erbaute Stadt die Gewißheit, daß die Kunstüberlieferung des Königs nicht mit seinem Tode abriß. Auch Neuruppin erhielt innerhalb der stehen­gebliebenen Stadtmauer vor dem Wiederaufbau ein ganz neues Straßennetz, in dem zwei fast übergroße Plätze in dem Netz rechtwinklig sich schneidender Straße vorgesehen waren. Indessen fehlen ihm die points-de-vues, die gerade in Potsdam eine große Rolle spielen. Daß die Architektur nicht die residenzlichen Züge Potsdams tragen konnte, liegt auf der Hand. Doch zeigt sich in der überwiegenden Zahl der Architekturen die treffliche Schule der friderizianischen Kunst. Gerade in den Einzelheiten, den Tür- und Fensterumrahmungen, den Türen selbst und dem mäßig angewandten plastischen Schmuck ist soviel künstlerisches Verständnis und feines Empfinden, daß allein daran der große Einfluß des Königs auf die Kunst seiner Zeit zu erkennen ist.

Alan kann die friderizianische Kunst nur richtig verstehen, wenn man auch die Raumkunst mit in Betracht zieht. Für die Stadt war der Übergang vom Fachwerk- zu dem Ziegelbau schon vollzogen und damit ein anderes Raumverhältnis verbreitet, das die Zimmer kleiner, höher und die Fenster weiter gemacht hatte. Bei den Schlössern wirkten dagegen die alten großräumigen Verhältnisse weiter, die auch der König in Sanssouci nur wenig änderte. Dagegen wandelte sich die Dekoration und mit ihr die Stimmung des Innenbaues, die sowohl sich einer strengen Architektonik zu entziehen, wie sie die Details durch die Farbe intimer zu gestalten suchte, ja selbst die Plastik der Zierformen wieder durch sie aufzuheben trachtete. Es war ein Naturalismus, der von der stilisierten Land­schaft in das Haus zog, der aber hier an der gedämpften Stimmung des Innenraumes eine Schranke fand. Dadurch sank er in eine stilistische Gebundenheit zurück, er wurde gebrochen, entfaltete eigene Stilgesetze des Innenraums, aber er schuf, wie die Städte­baukunst des Zeitalters im Äußeren, auch im Inneren zum ersten Male eine stimmungs­volle Raumkunst, die man, von architektonischen Voraussetzungen ausgehend, vordem nur bei Prunkgemächern, Kirchen, Rathaussälen und fürstlichen Repräsentationsräumen kannte. Die Künstler verzichteten auf plastische und große architektonische Wandgliede­rung oder beschränkten sie auf Fenster- und Türöffnungen, um die natürlichen viereckigen Wandflächen weiter flächenhaft zu teilen. Da nun zugleich die Räume selbst kleiner an­gelegt wurden, so kamen die lichten, roten und bläulichen Farben zur Geltung, die dann durch eine mäßige Anwendung von Gold und Silber diskret gesteigert wurden. Jetzt erkämpfte sich auch das Tafelbild an Stelle der früheren dekorativen Kolossalgemälde einen Platz an Wänden und täuschte im Verein mit Spiegeln, großen Fenstern, Holz­bekleidungen und Stoffen über die vorhandenen massiven Wände hinweg. Die Plastik beschränkte sich auf flache Pilaster oder eroberte sich als Stuck wieder Platz neben der Malerei. Der Architekt zog sich vor dem Tapezierer und Kunsthandwerker zurück (Abb. 125 ).