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lerischen Entwicklung durch den Bau ihrer Wohnhäuser! Nur die Gräfin Lichtenau machte in ihren Wohnhäusern zu Berlin und Charlottenburg entschlossen ihren Einfluß geltend, diese viel geschmähte Frau, die vielleicht nur ein Opfer ihrer Zeit war und deren künstlerische Neigung gewiß nicht unter dem Strich üblichen Courtisanen-Esprits stand, schrieb man ihr doch den Entwurf des Schlosses auf der Pfaueninsel zu!
Friedrich Wilhelms III. Neigungen waren durchaus bürgerlich wie die seines Vorfahren Friedrich Wilhelms I. Dieser indessen neigte der kompakten bürgerlichen Schlichtheit Hollands zu, die er unter Umständen gern zu einer zwar etwas nüchternen, aber doch auch steifen Grandezza zu steigern wußte, wenn es sich um kirchliche oder dynastische Repräsentationsausgaben handelte. Friedrich Wilhelms III. Neigungen liefen im engsten Anschluß an den Zeitgeschmack auf eine schlichte Ländlichkeit hinaus, die als das Erbe der großen Parkschöpfungen des Rokoko die Natur nicht stilisierte, sondern ihr durch leichte Architekturen nur wohncharakter zu geben versuchte. Paretz und die Pfaueninsel sind die nächsten Werke dieser Kunstrichtung, deren geistiger Inhalt nichtsdestoweniger von dem Klassizismus stammte.
Der Vertikalismus des mittelalterlichen Hauses, der bereits durch die Holländer- erschüttert, war in den friderizianischen Schöpfungen aber wieder zu Ansehen gekommen. Der Klassizismus machte ihm indessen um die wende des Jahrhunderts den Garaus und gliederte die Fassaden mehr in die Breite als in die Höhe. Horizontale Gesimse und Friese teilten die Fronten, in denen die Fensterumrahmungen straffer und gerader wurden und dadurch wieder eine neue Horizontalreihe schufen. Leider begann sich auch das Dach diesem Gedanken unterzuordnen und stellenweise zu einem reinen Flachdach zusammenzusinken. Die mitteldeutsche Mansarde hatte in Brandenburg nur unter Friedrich II. und dann in kleinen Städten Entgegenkommen gefunden; allenfalls war in dem von dem jüngeren Gilly bevorzugten Bohlendach eine Form erstanden, die sich nicht schwer mit der Nüchternheit der Fassade in Einklang bringen ließ. Jedenfalls aber brachen sich die großen ästhetischen Ziele des Klassizismus bald an der Enge bürgerlicher Denkart. Nicht große künstlerische weitsichten öffneten sich der Kunst, sondern nahegelegene Bedürfnisaufgaben, die aber eine wohnbehaglichkeit von bisher nicht gekannter Wärme erstrebte, die besonders das bürgerliche Haus freundlich gestaltete, die Paläste der Großen auf die gleiche Linie stellte und später sich in die Eigensinnigkeit der Biedermeierei verlor.
Freilich ging diese Zeit bald zu Ende. Die Siege Napoleons und der Zusammenbruch des preußischen Staates lähmten jede Schaffenslust. Nur das Notwendige wurde getan; die Folgen der Kontinentalsperre unterdrückten auch im bürgerlichen Leben jede künstlerische Unternehmungslust. In dieser Zeit — von Jena an bis zu dem Abschluß der Befreiungskriege — zeigte sich, daß der Klassizismus doch ein Besitz des Volkes geworden war. Seine Dürftigkeit und Nüchternheit, die in der Hand der Gewerbetreibenden eine traditionelle Vereinfachung erfuhr, ging mit der geistigen Wiedergeburt des Staates Hand in Hand. Die Städteordnung von 1808 und die Gewerbefreiheit von 1810 ließen ein frisches Leben in die schaffenden Kreise der Bevölkerung einströmen, die Bauernbefreiung machte weiterhin Kräfte frei, die bei der Neuordnung der Verhältnisse zunächst nur als Konsumenten in die Wagschale fielen, die dann aber auch als werktätige Bevölkerung einen großen Einfluß auf Kunst und Gewerbe ausüben sollten. Daß gerade sie zu