Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
Seite
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einem vollständigen Erstarren des künstlerischen Lebens führte, das zeigte sich erst ein volles Jahrhundert später.

Die Kunst des 19. Jahrhunderts.

Die Biedermeierei.

Wie wir gesehen haben, war das Rokoko schon unter Friedrich Wilhelm II. zum Verblassen gekommen, da die breitere Gestaltungsfläche der klassizistischen Kunst dem Bürgertum durchaus gelegen kam. Auch das haben wir gesehen, daß trotz aller bürger­lichen Tendenzen die Kunst keineswegs von der Bevormundung der höfischen Kunst frei geworden war. Nur äußerlich war unter Friedrich Wilhelm III. eine entschiedene Wandlung nach dieser Seite hin eingetreten; denn diese schlichte Natur kam der offenen Klarheit jener wissenschaftlich-ästhetischen Bestrebungen weit entgegen. Daß gerade die Antike herauszog, diese besonders im Struktiven klare Kunstwelt, das gab der neuen Kunst einen nationalen Wert, hat doch der Staat, der vordem in den Porzellan-, Glas-, Seiden- und anderen Manufakturen eine im Wesen höfische Kunstwelt begünstigte, sich keineswegs den Lehren verschlossen, die von Winckelmann, Lessing nicht zum geringsten Teile auch von Schiller ausgingen und besonders in Berlin Boden gefaßt hatten. Ja, er lieh jetzt Unternehmungen seine Unterstützung, die auf die breite Masse der künstlerischen Produktion Einfluß ausüben mußten. Zwar entfaltete die Königliche Eisengießerei1) ihre Hauptwirksamkeit erst nach dem Abschluß der Freiheitskriege, aber sie begann doch schon von 1804 an, sich in den Dienst der Gewerbe zu stellen und damit große Kunstgebiete für die Bevölkerung zu eröffnen.

Die Antike hatte besonders in der Architektur gesiegt; mit dem Unglück Preußens wurden die letzten Spuren des Rokoko und des Zopfes aus Brandenburg hinweggefegt. Ulan hatte jedoch die besonders von Frankreich aus begünstigte Antike nur äußerlich auf­nehmen können den inneren Geist hatte erst Schinkel voll erfaßt; das war aber an und für sich kein Unglück, denn gerade die Naivetät jener Zeit hatte den Weg gebahnt, um sie dem nordischen Empfinden einzuschmelzen. Ihre Werke muten an wie das erste Stam­meln der Renaissance, die Jahrhunderte zuvor mit einer naiven Unbefangenheit ihre strenge Stilistik dem verwilderten Naturalismus der Gotik aufpfropfte. Nur darin war ein Unterschied, daß jene Zeit handwerklich gefestigter war und mit echten Stoffen arbeitete, während der Klassizismus nicht selten gezwungen war, mit recht bedenklichen Ersatzstoffen zu arbeiten. Noch sah man nur die Form, die mit seltener Unbekümmertheit an die Fassade geklebt wurde oder in Stuck die inneren Wände verhüllte. Eine Anzahl von Wohngebäuden jener Zeit erstanden in Berlin und den kleinen Provinzstädten (Habelsche Weinstube Unter den Linden, Universitätsbibliothek Dorotheenstraße, Apotheke in Peitz, Wohnhäuser in Cottbus, Frankfurt, Charlottenburg) und zeugten von der bürgerlichen Verwendung stolzer antiker Formen.

Freilich stand ihrer uneingeschränkten Entwicklung ein Damm entgegen, den die­selben Freiheitskämpfe aufgerichtet hatten, aus deren Wärme die klassische Kunst der Zeit

1) Siehe Bd. II S.