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Rückseite betrachten, bei der die senkrechten und wagerechten Linien sich gegenseitig in der Schwebe halten, um den genialen Blick Schinkels für das Straßenbild zu bewundern, das durch den Gegensatz der Gontardschen Türme zu den Schauseiten der älteren fride- rizianischen Häuser gegeben war.1)
Im Widerspruch zu seinen gotischen Neigungen und der hellenischen Kunst befand sich Schinkel bei der Erbauung der Werderschen Kirche. Die Schlichtheit der Formen nähert sich dem Hellenismus; die Gesamtanlage entspricht einer reifen Gotik; das Innere ist eine echt Schinkelsche Schöpfung. Au einer uneingeschränkten künstlerischen Wirkung kommt sie trotzdem nicht, da ein Kompromiß zwischen zwei so weit auseinander stehenden Kunstanschauungen nicht möglich war. Nur an den Einzelheiten erkennt man den Geist eines Künstlers, der jede Linie und jede Form reiflich überdachte, bevor er sie ausführen ließ. Sehr zustatten kommen diesem Bau allerdings die eingebaute Lage und die blaß- rote Farbe der Ziegel. Ein.anderer gotischer Bau, der aber nicht zur Ausführung gelangte, ist der bereits erwähnte, als Denkmal der Befreiungskriege geplante Dom aus dem Leipziger Platze. So genial sich der Entwurf auch auf dem Papiere ausnimmt, so müssen wir es doch als ein Glück betrachten, daß er nicht zur Tat geworden ist. Der Romantiker Schinkel, der, noch voll von den Eindrücken der großen vaterländischen Ereignisse, eine Wiederbelebung der Gotik ins Auge faßte, wäre an dem inneren Widerspruch zwischen der vertikalen Gotik und dem horizontalen Hellenismus gescheitert. Die Gründe dieses Mißlingens verrät uns Schinkel selbst in seinen Denkwürdigkeiten, in denen er das. Denkmal philosophisch zu begründen sucht. Ein solcher Versuch läßt sich allenfalls bei den Mystikern des Mittelalters mit ihrer folgerichtigen religiösen Anschauung denken, nicht aber bei der reifen musikalischen Natur eines Schinkel. Au welchem Ergebnisse er gelangt wäre, offenbaren seine Entwürfe für den von Friedrich Wilhelm IV. geplanten Dom im Lustgarten, dessen basilikaler Tharakter unversehens wieder in eine Senkrechte umzuschlagen bereit ist.
Dagegen zeigt sich der Künstler bei allen geplanten und ausgeführten Bauten als ein Meister des Städtebaues. Je einfacher der Bau, um so weniger fallen dabei etwaige Widersprüche im einzelnen auf. Die schlichten, anspruchslosen Basiliken von St. Paul, St. Elisabeth und Nazareth, die als Vorläufer der späteren Romantik zu beachten sind, haben mit der Prospektwirkung einer früheren Zeit völlig gebrochen und die Vormacht guter Verhältnisse innerhalb einer Straße als einen neuen Gesichtspunkt proklamiert. Das Feilnersche Wohnhaus, der Backsteinbau des Militär-Arresthauses, das Verwaltungsgebäude des Packhofes, die Artillerie- und Ingenieurschule, die Sternwarte, einzelne Umbauten, wie des Prinz Karlschen Palastes, vor allem aber der des Prinzen Albrecht mit seiner malerischen Straßenkolonnade lassen erkennen, daß hier ein Künstler tätig war, der jedes Glied seinem Zwecke entsprechend gestalten konnte, der aber auch das ganze Bauwerk aus seiner Umgebung heraus erschuf.
Die Vielseitigkeit eines solchen Mannes fand ihre Grenzen nicht in dem engen Kreise seines Bauberufes. Der Maler Schinkel, dessen umfassende Tätigkeit die erhaltenen Skizzen und Entwürfe des Schinkel-Museums bezeugen, hatte mit den Fresken, die für die Vorhalle des Museums geplant und von anderen später ausgeführt wurden,
1) Der ursprüngliche Mörtelverputz ist später von einer Sandsteinverkleidung ersetzt worden.
Branderiburgische Landeskunde. Bd. IV. H