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der einzige Engländer in der Hofkapelle; bis in die zweite Jahrhunderthälfte hinein wurden immer neue Briten als Violinisten und Harfenisten herangezogen. Die wichtigste dieser Berufungen war die des hervorragenden Suitenkomponisten William Brade als Nachfolger des Zangius im Kapellmeisteramt )>61h). Mt ihm trat zum ersten Male ein Instrumentalmusiker an die Spitze der Kapelle; die Umwandlung der Kantorei in ein Orchester war nicht mehr aufzuhalten. Gleichzeitig setzt unter dem Einfluß der Engländer innerhalb der Kapelle eine Bewegung ein, die allmählich die Blasinstrumente hinausweist und das Orchester zu einem einheitlichen Saitenchor umschasft.
Die schweren Jahre des Dreißigjährigen Krieges bedrohten ernstlich die Existenz der Kapelle. Ein großer Teil der Musiker zerstreute sich, da der Sold nicht mehr ausgezahlt werden konnte, wenig neue wurden angestellt, und Aufwartungen 'fanden kaum statt.
In diesen Zeiten der Not und Verzweiflung ergriff die Berliner Bürgerschaft die musikalische Führerrolle. Joachim hatte den Einwohnern seiner Residenz im Dom das - Beispiel eines prächtigen, durch die Musik veredelten Gottesdienstes gegeben; Johann Georg war noch weitergegangen, indem er angeordnet hatte, daß die Hofkapelle des Sonntags, wenn sie in der Domkirche nicht gebraucht würde, abwechselnd in den Pfarrkirchen der Stadt musizieren sollte. Wenig später entstand aus dem alten Türmerwesen die Berliner und die Köllner Stadtpfeiferei, die Sonntags in der Kirche die Ehoräle mit Posaunen begleitete, vom Turme geistliche und weltliche Stücke herabblies und bei den Festen der Stadt und der Bürgerschaft aufwartete; vielleicht stehen diese Gründungen mit der Verordnung des Kurfürsten im Zusammenhang. Zur Vokalmusik bei Gottesdiensten, Festen und Umzügen waren die beiden Schülerchöre des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster und des Köllnischen Gymnasiums zur Verfügung. Dies sind die Faktoren, die bestimmt waren, die Hofkapelle in den Tagen Georg Wilhelms abzulösen. An der Spitze standen der Nikolaikantor Johann Erüger und der Stadtpseifer Jacob Hintze. Erüger il 38 h—1662) zählt zu den namhaftesten Tonsetzern des protestantischen Kirchenliedes: eine große Anzahl seiner Schöpfungen hat rasch Eingang in alle evangelischen, ja selbst in katholische Kirchen gefunden und sich bis zum heutigen Tage behaupten können; so „Nun danket alle Gott" und „Jesus meine Zuversicht". Seine besondere Bedeutung für Berlin und für die Mark Brandenburg liegt in der Herausgabe des ersten brandenburgischen Gesangbuches im Jahre >,6-sO, dem gleichen Jahre, in dem die Kriegsnot auf das höchste gestiegen war und die Bürger bereits an die Räumung des Landes dachten. Unter dem Namen „Vruxis Uiotntis mellen" erlebte diese Sammlung bis weit ins s8. Jahrhundert hinein ein halbes Hundert Auflagen?) Nicht so elementar im Ausdruck und daher nicht so lebensfähig wie Erüger ist sein Nebenmann Hintze (s622—1702); immerhin rechnet ihn eine wertvolle zeitgenössische Hfuelleh unter die berühmtesten Komponisten des Jahrhunderts, und ein Spener hält ihm die Leichenpredigt. Auf den besonderen Wunsch Erügers versah er die Lieder der Praxis pietatis mit Instrumentalbegleitung und fügte den posthumen
0 Langbecker, Joh. Lrügers Lhoralmelodien. Berlin 1835.
2) w. L. printz, historische Beschreibung der Ldelen Sing- und Mng-Runst. Dresden 16 I 0 ,
S. 1-Z7.