Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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Auch das kirchenmusikalische Leben Berlins und seiner Schwesterstädte flaut nach Trügers Tode H662) ab. Wohl ist noch sein unmittelbarer Nachfolger Johann Georg Ebeling ein schöpferisches Talent; er hat dieGeistlichen Andachten" j)aul Gerhards, neben dem er an St. Nikolai wirkte, in Musik gesetzt und damit Eigenes gegeben, wenn er auch hinter den beiden früher Genannten zurückstehen muß. Aber die nächstfolgenden Generationen der Kantoren und Organisten ragen über den Durchschnitt nicht hervor; ebensowenig erlangt in den kleineren Städten und Dörfern des Landes irgendein Name Bedeutung.

Abermals kam die hosmusik ans Ruder. Der Große Kurfürst hatte langsam die spärlichen Reste einer Kapelle, die ihm sein Vater hinterlassen hatte, gekräftigt und ver­stärkt; ein französischer Sänger war vorübergehend bei Hofe und in der Domkirche tätig gewesen, französische hautboisten wurden engagiert und so der Grund zu einem Bläserchor gelegt. Ein zeitgenössischer italienischer Reisender Gregorio Leti konnte die Leistungen der Kapelle bereits warm rühmen. Als Friedrich III. zur Regierung kam, bedurfte es im ganzen nur der numerischen Verstärkung, um die Kapelle zu einer ebenbürtigen Schwester der bedeutendsten hoskapellen zu machen.

Das Hauptgewicht ist aber für die Jahrhundertwende nicht auf das selbständige Wirken der Kapelle, auch nicht auf ihre Anteilnahme am Gottesdienst zu legen, sondern auf zwei Arten musikalischer Vorführungen, die für Brandenburg neu waren und in der Hauptsache an die Persönlichkeit der Königin Sophie Tharlotte geknüpft waren: Oper und Kammermusik. Freilich hat man schon vorher intime Musik am branden- burgischen Hofe geübt; wir wissen z. B., daß Friedrich Wilhelms Schwestern Luise Tharlotte und Hedwig Sophie Violaschülerinnen des alten Walter Rowe waren, und derselbe Meister zählt 1667 in seinem Inventar der im Schloß vorhandenen In­strumente sr'rr /)r«oant II'o/ cts Ro R. (iAur/nrstt.'

auf. Auch von einem Ballett, das in den letzten Jahren des Großen Kurfürsten aus­geführt worden ist, hat uns Gottsched den Titel überliefert. Aber all das hat doch keine sichtbaren Spuren hinterlassen; es hat sich hinter den Kulissen der Geschichte ab­gespielt.

Die Königin, am hannoverschen Kursürstenhof in der Liebe zu italienischer Kunst auferzogen, befreundet mit einem hervorragenden italienischen Musiker wie Agostino Steffani, fühlte sich von dem vorwiegend deutsch gearteten, auf das Festliche gerichtete Musikwesen des Berliner Hofes nicht befriedigt. In ihren Neigungen überhaupt zum großen Teile eine ihrem Gemahl entgegengesetzte Natur, namentlich aber allem hof­zeremoniell, das Friedrich besonders pflegte, abhold, bildete sie sich in Lietzenburg, dem heutigen Tharlottenburg, eine gesonderte Hofhaltung mit einem eigenen Kreise von Künstlern und Gelehrten. Sie berief die vorzüglichsten italienischen Virtuosen zu sich: den Sänger Francesco Antonio jDistocchi, den Geiger Giuseppe TorelIi, den Violoncellisten Attilio Ariosti, Giovanni Bononcini und andere. Man kann häufig lesen, daß diese Meister der Kapelle der Königin angehört hätten; in Wahrheit hat es eine solche niemals gegeben; es handelte sich bei den musikalischen Abenden Sophie Tharlottes in der Regel um den Vortrag von Kammer­duetten.